
Mic ist seit 1969 meine Freundin. Wir kennen uns also schon fast ein ganzes Leben, auch wenn wir uns erst 1990 zum ersten Mal gesehen haben. Das war der Mauer geschuldet. Aber zum Glück gab es Bundespost und Deutsche Post der DDR. Erst als die Stasi etwa um das Jahr 1970 herum anfing, alle Briefe mit Artikeln und Fotos aus der "Bravo" herauszufiltern, geriet unser emsiger Briefwechsel etwas ins Stocken. Lang ist es her, die "Bravo " ist heute vielleicht auch nicht mehr das, was Persil früher einmal war. Seit einiger Zeit ist Mic sehr krank.Sie ist trotzdem ein mutiger, optimistischer und fröhlicher Mensch, ich bewundere sie. Was einem Kranken so alles bei einem Untersuchungstermin in einem großen Krankenhaus passiert, hat sie hier aufgeschrieben:
" Da die erfahrene Patientin schlau ist, nimmt sie nicht nur den Arztbrief, sondern noch diesen und jenen Zettel mit, wie z. B. Eigenanamnese, Verlauf Adenokarzinom (man erinnere sich: Diagnose 1998 "TBC"), Chemotherapien und Verlauf und Kontrolle derselben, CT-Aufnahmen...
Schnell vom Hauptbahnhof zur Straßenbahn, oh Mist, die Zeit ist knapp und die Bahn kommt erst in 6 Minuten. Soll ich doch ein Taxi nehmen oder die andere Bahn in die Richtung und dann ein Taxi? Nee, mache ich nicht, kein Geld dafür.
Abgehetzt um 12.45 Uhr in der Klinik, nach dem Weg fragen, vor verschlossenen Türen stehen, dann zurück zur Anmeldung, da gibt es schon mal drei Din A4-Bögen mit Klebchen. Das ist gut, denn Klebchen sind immer wichtig und die hießen schon vor Jahren so und scheinbar immer noch. Zurück zur Schwester, die gerade ein Ehepaar in die Cafeteria schickt. Ich frage, ob ich da auch hin kann. Nein, ich werde gleich gebraucht.
Die Schwester ist sehr angetan von meinen Mitbringseln und erklärt mich für eine gut vorbereitete Patientin. Das Telefon klingelt fast ununterbrochen, mal das eine, dann das andere. Schwester Jana bleibt freundlich und wir können auch wieder ein paar Worte wechseln. Ich bewundere ihre braunen Beine. Da helfen nur Urlaub und die Sonnenbank. Ich habe Samstag Geburtstag und nehme Selbstbräuner. Auch gut, Marke „Sowieso“ ist besonders toll, sagt sie...
Nun soll ich mit meinen Fragebögen und einem Laufzettel in die zweite Etage zur Blutgasanalyse und zum Lungenfunktionstest, danach dann wieder zu ihr. Ok, Aufzug E, 2. Etage, durchfragen. Wieder mal dieses scheußliche Zeug ans Ohrläppchen, in Sekundenschnelle ist es heiß und brennt, aber noch werde ich nicht aufgerufen. Mittlerweile ist es halb drei. Dann wird das Ohrläppchen angezapft, winzige Glasröhrchen mit Blut gefüllt, ein Computer wertet aus.
Nun zum Lungenfunktionstest, anschließend soll ich wiederkommen. Die Prozedur kenne ich von früher, aber sie wurde lange nicht mehr gemacht, also los. Erst ohne, dann mit Spray, mal sehen, ob es danach besser geht. Der Unterschied ist nicht allzu groß. Zwischendurch wischt sich die Dame die Augen und ich frage sie, ob meine Werte ihr die Tränen in die Augen treiben. Nein, es sind die Wechseljahre.
Zurück zu den netten Leuten von der Blutgasanalyse. So, wir machen jetzt einen Gehtest. Der rechte Zeigefinger bekommt einen Sauerstoffmesser übergestülpt. Bitte ab der markierten Linie bis zur übernächsten Uhr in normalem Tempo 6 Minuten gehen. Alles klar, mache ich. Schreite frohen Mutes an offenen Türen und irgendwelchen Plakaten vorbei, die ich im Vorbeigehen nicht lesen kann. Der Azubi sagt: „Noch dreieinhalb Minuten... Noch zwei... Noch 30 Sekunden…“ und er setzt sich in Bewegung und verfolgt mich. Halt, Stopp! Ding wieder ab vom Finger, 498m in 6 Minuten, Sauerstoffsättigung vor: 97%, nach:88%, Dyspnoe nach BORG: 1-2
Nun geht es zurück in den Wartebereich der onkologischen Ambulanz (Lunge). Hätte ich doch bloß Schwester Janas Rat befolgt und wäre in die Cafeteria gegangen! Es ist 15.30 Uhr. Die Patienten tauen ob der gemeinsamen langen Wartezeit auf, reden ein bisschen miteinander. Eigentlich müsste ich gleich dran sein, aber Herr S., ein Notfall, kommt vorher dran. Ein anderer Herr, der eigentlich seinen Termin um 13 Uhr hatte (ich um 12.30), wird plötzlich vor mir hereingerufen, allerdings in das Zimmer neben Jana, zu dem Weisskittel. Der soll als Arzt nicht so gut sein...
Endlich, nachdem ich mich mit der Fahrerin eines Patienten, beide kommen vom Dorf, über Wildschweinbraten in oder nicht in Buttermilch, Schlachtewurst und Putensauerfleisch unterhalten habe (ich hatte seit morgens nur eine Banane intus), geht die Tür auf, es ist etwa 17 Uhr. Guten Tag, ich bin Dr. D.
Zuerst bedauert er meine Vorgeschichte und diese fünf Jahre, in denen ich nicht behandelt wurde, der Rest sei ja entsprechend der dann festgestellten Diagnose (oder so). Es klingt jedenfalls beruhigend, nicht ungewöhnlich. Er sichtet meine Unterlagen, fragt Einiges, will wissen, wie ich mir das weitere Vorgehen vorstelle und zeigt Möglichkeiten und Wege auf. Zuvor muss ich aber bis nächsten Mittwoch Hausaufgaben machen und jede Menge Bilder, CDs und Blutwertprotokolle besorgen, dann soll mein Fall in der Tumorkonferenz besprochen werden, wir treffen uns in 14 Tagen wieder. wieder. Auch von einer Studie ist die Rede, aber da will er sich erst ein genaues Bild machen und abklären, ob das neue Medikament wirklich nicht gewirkt hat. Das verunsichert mich ein bisschen, aber nicht sehr, er ist der Fachmann. Ich frage noch zaghaft, ob es jeden Tag so lange dauert und er sagt "Sie sehen doch an sich selbst, wie lange es dauert. Und alle, die hierher kommen, haben eine besondere Krankengeschichte." Gut, der nächste Termin ist um 15 Uhr, ich habe nämlich festgestellt, dass die Patienten, die zum Nachmittag bestellt waren, "nur" etwa zwei bis drei Stunden warteten. Schau'n wir mal... Es ist 18 Uhr, als ich die Klinik verlasse und jetzt erst richtig zu schätzen weiß, dass ich wunderbare Stunden in klimatisierten Räumen verbracht habe, denn draußen empfängt mich eine Hitzewand.
Ich treffe mich noch mit meiner Mutter in der Stadt, endlich gibt es was Herzhaftes zu essen für mich und für Mutter Kaffee und Kuchen. Der Zug nach Hause hat Verspätung. Ich döse, lasse Felder und Wälder an mir vorüberziehen. Ab und zu fliegen ein paar verschreckte Krähen auf, als der Zug vorbeirauscht. Zum Teil ist das Getreide abgemäht, dazwischen ein großes Stück mit wilder Kamille, dann lila Blumen. 21 Uhr, endlich wieder zu Hause, was für ein Tag!"
Danke, Mic.
Foto: Gerd Altmann (pixelio.de)
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