Seitdem ich denken kann und länger stehen hier vor unseren Grundstücken fünf große Linden. Diese Bäume müssen also älter als 66 Jahre sein, denn als ich 1959 in die Schule kam, standen sie schon da und waren schon groß. Auch mein Vater kannte sie schon und der wurde 1927 geboren. Ich vermute daher, dass sie über hundert Jahre alt sein werden und damit aus der Zeit stammen, als mein Urgroßvater 1903 die 2200 m² Wald, die heute unser Anwesen sind, vom Schönower Bauern Otto Ivers für 3000 Goldmark gekauft hat. Selige Zeiten: Die Mehrwertsteuer auf die Kaufsumme betrug damals sage und schreibe ein Prozent. Wir wollen unseren alten Kaiser Wilhelm wieder haben.
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Lindenblatt (Wolfgang / pixelio.de) |
Die Linden begleiten mich schon mein ganzes Leben lang. Linden können ein Alter von bis zu 1000 Jahren erreichen. Im Frühjahr freuen wir uns über ihre Blüten und das Getümmel der Bienen, die den süß riechenden Nektar sammeln. Im Hochsommer geben sie uns Schatten. In eine von den Fünfen hat mal der Blitz eingeschlagen, die Krone des Baumes lag dann in unserem Vorgarten, der Baum ist deshalb etwas kleiner als die anderen vier. Im Herbst fegen wir das Laub der fünf Straßenbäume zusammen, es werden dann mal leicht 35 Stück der großen 80-Liter-Säcke, die von der Kommune abtransportiert werden. Das klappt immer ziemlich reibungslos, es gab nur einmal ein kleines Intermezzo mit einem idiotischen CDU-Bürgermeister. Da waren wir gerade in Bernau eingemeindet worden und der CDU-Heini wollte uns zwingen, die Säcke in einen irgendwo zentral aufgestellten Container zu entleeren. Benzin für die Anfahrt bzw. Geld für einen PKW-Hänger wollte er nicht zahlen. Aus diesem Grunde kam ich zu den Bernauer Freien Wählern, denn die setzten sich damals dafür ein, dass letztlich mit Zustimmung einiger vernünftiger Stadtverordneten ein anderer Weg beschritten wurde. Die Bernauer Grünen waren übrigens damals weniger interessiert.
Ich hatte dann dem CDU-Bürgermeister vorgeschlagen, die Laubabholung zu privatisieren, worauf er mir auf drei DIN A4-Seiten eindringlich bewies, dass ich ein Idiot sei, denn das haben wir in Bernau noch nie so gemacht. Und da kann ja jeder kommen. Kam dann auch, der CDUler vergaloppierte sich heillos in den rechtswidrigen Altanschließerbeiträgen, wurde von uns abgewählt und die Linken installierten ihre eigene Gurke. Na ja, es war ein halber Gewinn, man kann nicht alles haben. Obwohl: Der von der CDU hielt seine Wähler auch für unmündige Idioten, war aber in seiner Überheblichkeit wenigstens höflich. "Vom Regen in die Jauche" sagt man wohl.
Es dauerte dann noch einmal drei Jahre, bis die Laubabholung und anschließende Kompostierung tatsächlich privat organisiert wurden. Bitteschön, gern geschehen. An meinen Ideen kann sich jeder bedienen, ich habe genug davon.
Seit der Wende erlebe ich nun regelmäßig, dass die Verwaltung unseres Dorfes (bzw. jetzt der Stadt) sogenannte Fachfirmen damit beauftragt , die alten Bäume zu beschneiden. Das macht Sinn, denn die alten Herr- bzw. Damenschaften der Familie Malvaceae neigen dazu, alte und trockene Äste einfach abzuwerfen. Und wie wir Menschen im Alter zunehmend Haare verlieren, werden es bei den Linden immer mehr trockene Äste. Die sogenannten Fachfirmen rücken also im Normalfall mit großer Hebebühne und LKW und 5 Mann hoch an und dann geht es los. Es wird gesägt und gesägt und gesägt. Bisher haben die Linden diese Massaker schadlos überstanden, was man von vielen Chausseebäumen in Brandenburg leider nicht sagen kann. Da hat man immer den Eindruck, die sollen von Amts wegen alle tot gepflegt werden.
Irgendwann zieht die Säge-Brigade dann weiter und ungefähr drei Tage später kommt ein Wind mit Windstärke 4 bis 5. Und kurze Zeit später hat der Wind, der Wind, das himmlische Kind genau
das erledigt, wozu die sogenannten "Fachfirmen" angerückt waren und auch bezahlt wurden: Die trockenen Äste herausgebrochen, die ein billiger Dilettant mit seinen fachmännisch geschulten Augen nicht erkennen konnte. Unsere Steuergelder sind übrigens mit der "Fachfirma" zusammen weg und im nächsten Jahr kommt eine andere Laienspieltruppe, um unsere alten Bäume zu verstümmeln ...