Was mich an Deutschland immer wieder so fasziniert, ist die Redefreiheit. Ich meine nicht Gedankenfreiheit, um die ist es schlecht bestellt, weil kaum noch jemand eigene Gedanken hat. Nein, Redefreiheit dergestalt, dass sich jemand hinstellt, a la "Hier stehe ich, ich kann nicht anders" seine eigene Meinung sagt und dann: Denken alle anderen zunächst mal nach. Was will der? Wie hat der das gemeint? Ist da ein wahrer Kern drin?
Das gibt es nicht, das kommt nicht vor in Deutschland. Wenn wirklich mal jemand irgend etwas äußert, was nicht dem Mainstream entspricht oder in einem Parteiprogramm steht, wird er gnadenlos abgebürstet oder gleich ganz tot geschwiegen. Oder man bedient sich bei ihm und gibt die fremden Gedanken als die eigenen aus. So ging es mir einige Male während des Landrats-Wahlkampfes im vorigen Jahr: Hier eine Idee geäußert, schon fünf Minuten später auf der Webseite der Mitbewerberin. Anfangs habe ich die Dame sogar noch zur Rede gestellt, aber was will man gegen ein Mächtig dickes Fell schon ausrichten?
Bei meinem zur Zeit laufenden Gefecht mit den Eckenpinklern in diesem schönen, aber sehr trockenen Bundesland habe ich mich wieder einmal weit aus dem Fenster gelehnt. Meine durchweg fachlich begründete Ablehnung des Agitprop-Stückes der Bundestagsabgeordneten Dagmar Enkelmann um die Großbäckerei Bernau wurde am 27. Mai in der "Märkischen Oderzeitung" veröffentlicht und führte bei einigen Lesern auch online zu regelrechten Beißattacken gegen meine Person. "Statt Meckern, selber was tun" , "Abwarten, nichts tun und dann noch meckern", "Frau Enkelmann tut wenigstens was!" , "Frau Enkelmann bringt sich ein, knüpft Kontakte, das Schicksal von 200 Mitarbeitern ist ihr nicht gleichgültig", "Ist es ihr Arbeitgeber oder sind Sie der Besitzer oder glauben sie mit kriegerischen Äußerungen gegenüber gewählte Sprecher, steigt Ihr Gehalt?", "Prüfen wir doch mal, wo Sie Ihren Doktor gemacht haben?" waren noch die harmlosesten Auslassungen einiger verwirrter Jünger der Heiligen Dagmar. Wie kann man auch eine Prophetin kritisieren?! Die (bestellte?) Wut der Ideologen feiert Urständ. Nebenbei sei die Frage erlaubt, ob es nicht die verdammte Pflicht der E. ist, sich um ihren Wahlkreis einen Kopf zu machen. Dafür ist sie gewählt, bekommt einen Haufen Geld und man muss ihr nicht noch die Zehen ablutschen vor lauter Dankbarkeit. Auch und schon gerade nicht für Luftbuchungen.
Nun halte ich die Möglichkeit meiner persönlichen Einflußnahme als berufener Bürger im Finanzausschuß der Stadt Bernau auf den Barilla-Konzern für - sagen wir mal hochstapelnd - sehr begrenzt. Mit anderen Worten: Eher registrieren die in Mailand, wenn ein Sack Reis in Peking umfällt, als dass sie sich um meine Meinung kümmern werden. Gleiches gilt auch für die großen deutschen Handelskonzerne. Natürlich würde ich wegen einer Listung bei ALDI für das Bernauer Brot sofort bei Theo Albrecht anrufen. Aber ob man mich durchstellt, ist eher zu bezweifeln.
Ob nun blindes Agieren mit einem mehr als zweifelhaften Konzept besser ist als Verhandlungen der Gewerkschaft oder Streiks sei dahin gestellt. Jedenfalls schwächt man mit windigen Rettungskonzepten klar die Verhandlungsposition der Gewerkschaft gegenüber Barilla/Lieken. Und gerade deswegen reihen sich meine bisherigen Aktivitäten zum Erhalt der Großbäckerei am Standort Bernau aus Solidarität mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern - neben meiner eigentlichen zeit- und kräftezehrenden Arbeit und ohne Alimentierung durch eine Partei oder durch den Bundestag/Steuerzahler - auch nahtlos in das bisherige Konzept der Gewerkschaft ein. Wer sich darüber informieren will, mit welchem Engagement wir Unabhängigen in Bernau den Erhalt der Großbäckerei einfordern, kann sich online auf folgenden Links informieren:
- Pressemitteilung der Unabhängigen Fraktion der SVV Bernau vom 11. März 2011
- Großbäckerei Bernau wird dicht gemacht vom 12. Februar 2011
- Bernauer stehen zu "ihrer" Großbäckerei vom 10. März 2011
- Daggi und die Vergesellschaftung der Produktion" mit lesens- und beachtenswertem Marx-Zitat.
Last but not least: Ich bin nur der Bote der schlechten Nachricht. Dass einige Jünger der Frau E. nun mich mit dem Mut der Unwissenden zum Sündenbock für die Nichtrealisierbarkeit des Luftschlosses machen wollen, ist mehr als infam - es ist albern. Und wer fachlich begründete, berechtigte Kritik mit Meckerei gleichsetzt, ist in meinen Augen einfach nur beratungsresistent. Wie viele Politiker...
P.S. : Schade übrigens, dass man meinen Leserbrief wahrscheinlich nicht einmal bis zum Ende gelesen hat. Vielleicht würden sich sonst noch mehr Leser der "MOZ" fragen, warum Frau E. nicht mal nach BaWü zu Weber Motors fährt oder wenigstens den Bernauer Bürgermeister oder den Landrat dorthin prügelt. Damit in Bernau endlich wieder zukunftssichere Arbeitsplätze entstehen.
Bild: Luftschloss (Gerd Altmann / pixelio.de)