Unsere westdeutschen Landsleute wissen einfach alles - vor allem alles besser. Deshalb heißen sie im (ost-) deutschen Volksmund auch Besserwessis. Und weil sie alles besser wissen als wir, erklären sie uns gerade wieder vor dem zwanzigsten Jahrestag des Anschlusses wie das so war in der DDR und danach. Kritische Stimmen zur sogenannten "Wiedervereinigung" werden gern nieder geschrieen und in irgendwelche ultrakommunistischen Nostalgieecken gestellt. Einzelne Gehirnamputierte gehen sogar soweit, den Anschluss der DDR an die BRD generell als gelungen zu bezeichnen und sich eine Kritik daran und an den Institutionen dieser Bundesrepublik Deutschland überhaupt zu verbieten. Genau d a s - nämlich ein Nachdenk- und ein generelles Kritikverbot- hatten wir schon mehrmals auf deutschem Boden, es erinnert mich sehr an die DDR und ich habe etwas gegen diese Art von Menschen, die es scheinbar in jeder Gesellschaftsordnung gibt. Wir wissen nämlich aus der Geschichte, wo das immer wieder hingeführt hat.
Benennen wir lieber die Dinge beim Namen und halten wir uns an die Fakten, bevor wir uns von allzuviel Patriotismus und Liebe zur bunten Fratze des Kapitalismus auch noch die letzte Gehirnwindung verkleistern lassen:
Nicht jeder, der diese Bundesrepublik, ihre Regierung oder ihre Parteien kritisiert, will Erich Honecker oder den schizophrenen Mielke zurück haben. Auch ich nicht. Aber es muss auch wahr bleiben, was wahr ist. Zum Beispiel, dass wir uns am 3. Oktober 1990 nicht wieder vereinigt haben. Aus staats- und völkerrechtlicher Sicht hat an diesem Tag - ob es unsere Hurrapatrioten und vor allem viele Politiker wahrhaben wollen oder nicht - ein Beitritt der DDR zur BRD stattgefunden. Kann man sogar im Grundgesetz nachlesen. (weitere Quelle: Michael Schweitzer: Staatsrecht III - Staatsrecht, Völkerrecht, Europarecht, Rn.654)
Wenn Matthias Platzeck und ich den gesamten Vorgang permanent als Anschluß bezeichnen, ziehen wir keine Parallelen zum Anschluß Österreichs an Hitlerdeutschland im März 1938, sondern berücksichtigen einzig und allein den erdrückenden westdeutschen Einfluß auf die letzte, angeblich frei gewählte Regierung und Volkskammer der DDR. Beide konnten eben nicht mehr frei entscheiden. Auch die Wahlen am 18. März 1990 waren nicht frei. Konnten sie nicht mehr sein, weil Kohl schon nach dem Mantel der Geschichte gegriffen hatte. Deshalb war es einzig und allein ein Anschluß unter übermächtigen politischen und vor allem ökonomischen Zwängen, was sich unter anderem auch im Prozeß des Zustandekommens sowie im Inhalt des Einigungsvertrages ausdrückt.
Eine weitere entscheidende Lebenslüge der "Wiedervereinigung" ist, dass die DDR bankrott war. Jedenfalls war sie es 1989 noch nicht. Jedenfalls nicht so bankrott, wie die Bundesrepublik heute. Wenn sich der (westdeutsche) Grünen-Fraktionschef im Brandenburger Landtag, Axel Vogel, über Platzecks These der "gnadenlosen Deindustrialisierung" im Osten nach der Wiedervereinigung mit den Worten lustig macht, die DDR wäre kein Industriestaat, sondern ein Industriemuseum gewesen, zeugen diese Auslassungen von typischer westdeutscher Arroganz. ("Märkische Oderzeitung" vom 10.09.2010, Seite 10 - leider nicht online)
Vogel, in Bochum geboren und von Bayern nach Brandenburg gekommen, sollte es besser wissen. Er ist schon lange genug im Osten. Vor allem hatte er genügend Gelegenheit, ab 1991 die Untaten der sogenannten Treuhand auf ostdeutschem Boden zu verfolgen. Die meisten Firmen, die man in Wirklichkeit meist für 'nen Appel und 'nen Ei an Investoren verramschte, wurden anschließend als lästige Konkurrenten sofort oder nach dem Auslaufen der Verträge mit der Treuhand totgeschlagen. Zuvor zog man noch die Staatsbeihilfen und das liquide Kapital ab oder verscherbelte die Immobilien. Die Maschinen gingen in Billiglohnländer. Das ist gerade in Brandenburg tausendfach passiert und wurde offiziell nie untersucht oder aufgearbeitet. Zeitlich gesehen passierten diese Dinge meist ab dem Jahr 1993. Alles verschlafen bei den Grünen ? Vielleicht könnte man auch westdeutschen Billigimporten aus der Politik endlich mal etwas Literaturstudium verordnen - und das bevor sie losplappern?
Nach zwanzig Jahren wäre eigentlich einmal Zeit für ein objektives Resümee "ohne Schaum vor dem Mund" (der SPD-Fraktionschef im Brandenburger Landtag, Dietmar Woidke) und ohne allzuviel Jubel oder Statistik im Sinne des Auftraggebers. (Objektivität ist übrigens die Unabhängigkeit der Beschreibung eines
Sachverhalts vom Beobachter) Vielleicht haben wir hier im Osten Deutschlands in den letzten 20 Jahren ja wirklich eine Riesenleistung vollbracht? Und das alles nicht wegen, sondern trotz der "Wiedervereinigung" und aller ihrer Auswirkungen?