1. Unzureichende Bürgerbeteiligung bei der Netzplanung
Der Netzentwicklungsplan greift nach seiner Verabschiedung durch das Parlament als Bundesbedarfsplan ganz erheblich in das Infrastrukturgeschehen der einzelnen Kommunen ein. Die zunehmende Kompetenzverlagerung von der Landes- auf die Bundes- und schließlich auf die EU-Ebene (TYNDP) macht die lokale Bürgerbeteiligung mehr und mehr zur Farce, zumal neuere gesetzliche Regelungen (ENLAG und NABEG) und die Beschneidung des Rechtswegs die Mitwirkung der Bürger nicht etwa einfacher machen, sondern sie eher erschweren.
Die Bürgerinitiative "Biosphäre unter Strom - keine Freileitung durchs Reservat!" hält folgende Bedingungen für effektive Bürgerbeteiligung für unverzichtbar:
-Transparenz auf allen Stufen der Planungsprozesse
- von den Netzbetreibern und Energiekonzernen unabhängige Recherche und
- wissenschaftliche Beratung im Interesse der Bürger
- detaillierte und nachvollziehbare Darstellung der energiepolitischen und übertragungstechnischen Notwendigkeit der geplanten Maßnahmen
.
Diese Bedingungen sind mit der Vorlage des von den Übertragungsnetzbetreibern ÜNB) verfassten Netzentwicklungsplans Strom 2014 (NEP 2014) nicht gegeben. Die Bürgerinitiative betrachtet das im EnWG vorgesehene Konsultationsverfahren in der gegenwärtigen Form nicht als ein geeignetes Instrument, um den Bürgerwillen beim Netzausbau effektiv zur Geltung zu bringen. Sie sieht darin wie bereits im Jahr 2012 bei der Konsultation des NEP 2012 eher ein Verfahren, den von den Netzbetreibern geplanten und in der Öffentlichkeit umstrittenen Netzausbau abzusichern und zu “legitimieren”. Es handelt sich nach unserer Einschätzung nur um eine Scheinbeteiligung der Öffentlichkeit, nicht um echte Beteiligung, denn die grundsätzlichen Fragen, ob und wie ein dezentrales Energieversorgungssystem aufgebaut werden und was es leisten könnte, stehen nicht zur Debatte. Im „Ilmenauer Signal“ (www.zubila.de/ilmenauer-Signal.html) des „Netzgipfels von unten“ (Dez. 2012) wird die Konzeption eines dezentralen Energieversorgungssystems mit erneuerbarer Energie näher erläutert.
Die Notwendigkeit der einzelnen Maßnahmen wird im NEP 2014 nicht nachvollziehbar dargestellt, sondern nur durch sehr allgemein gehaltene qualitative Aussagen „begründet“. So wird z.B. im „Steckbrief“ zur „Uckermarkleitung“ geschrieben, das „netztechnische Ziel der Maßnahme“ sei es, die „horizontale Übertragungskapazität im Netz von 50 Hertz und regelzonenüberschreitend bzw. länderübergreifend zum benachbarten polnischen Übertragungsnetzbeteiber PSE zu erhöhen.“(NEP 2014, S.128)
Diese allgemeine Darstellung ist nicht geeignet, eine Steigerung der Übertragungskapazität um das 4,5 fache gegenüber der Übertragungskapazität der bestehenden 220kV-Freileitung zu begründen. Sie kann z. B. auch nicht die eklatanten Eingriffe in das Biosphärenreservat Schorfheide - Chorin und zwei europäische Vogelschutzgebiete und den Naturpark Barnim rechtfertigen, die bei Realisierung der Planung unvermeidlich wären.
Die Bürgerinitiative “Biosphäre unter Strom - keine Freileitung durchs Reservat!” kann daher im Konsultationsverfahren 2014 nur kritische Anmerkungen machen, eine Zustimmung zu den Netzausbauplänen kann aus dieser Beteiligung nicht abgeleitet werden.
2. Konzeptionelle Verengung auf zentralistische Strukturen
Es zeigt sich, dass der Netzentwicklungsplan 2014 nicht, wie in der öffentlichen Diskussion häufig behauptet, in erster Linie der inländischen Versorgung mit erneuerbaren Energien und somit der Energiewende dient, sondern vielmehr den großen Energieunternehmen zur von der EU gewollten und von den Verbrauchern zu finanzierenden Infrastrukturabsicherung für den europäischen Stromhandel (NEP 2014, S. 31, S. 37, S. 39) vor allem auch mit Kohlestrom nützt. Die gestiegenen Kohlestromexporte und der hohe CO2-Ausstoß im Jahr 2013 belegen diese Einschätzung sehr deutlich (vgl. Tagesspiegel, 15.5.2014).
Der von den ÜNB vorgelegte NEP 2014 ist als modifizierte Fortschreibung der Vorgänger auf zentralistische Strukturen der Stromerzeugung und – verteilung fixiert. Mit dem gegenwärtigen Nord-Südgefälle der Stromerzeugung wird der Aus- und Neubau von Tausenden von Kilometern Höchstspannungsfreileitungen begründet. Die Konzepte und Maßnahmen der bereits realisierten dezentralen Stromerzeugung und Stromversorgung werden im NEP 2014 nicht angemessen berücksichtigt. Der NEP 2014 ignoriert die Möglichkeiten, die die erneuerbaren Energien für die Neustrukturierung des Energiesystems zu einem mehr dezentralen System bieten.
Wesentliches Element des dezentralen Ausbaus der erneuerbaren Energien ist es, Strom dort zu erzeugen, wo er benötigt wird. Große Distanzen zwischen dem Ort der Erzeugung und dem Ort des Verbrauchs werden so vermieden und die erforderliche Länge neuer Stromtrassen deutlich reduziert (Peter Droege, Präsident von EUROSOLAR). Durch Dezentralisierung lässt sich folglich der Netzausbau begrenzen.
Hierzu finden sich im NEP 2014 keinerlei Überlegungen.
3. Die Trassenplanung des NEP 2014 ist überdimensioniert, daher unwirtschaftlich und deshalb nicht genehmigungsfähig
Wenn man die im NEP 2014 empfohlenen Netzausbaumaßnahmen mit den Ausführungen in der DENA-Netzstudie II vergleicht, muss man feststellen,dass die in der DENA-Netzstudie II als zu kostspielig verworfenen Varianten des Netzausbaus in etwas modifizierter Form im NEP 2014 als "Grundlage für einen bedarfsgerechten Netzausbau" (NEP 2014, S. 18) präsentiert werden. Die Dena-Netzstudie II favorisiert den Neubau von 3.600 km neuen 380kV - Trassen, deren Kosten mit ca. 9, 7 Mrd. Euro etwas mehr als die Hälfte der von der Dena verworfenen Varianten (17Mrd. Euro) betragen würden.
Szenario B des NEP 2014 sieht eine Neubeseilung und einen Neubau von Leitungen in bestehenden Trassen von 5.200 km, einen Trassenneubau von 380-kV-Freileitungen von 1.300 km sowie 2.100 km HGÜ-Trassen vor.
Durch den Einsatz von vier HGÜ-Systemen sollte eigentlich eine
deutliche Entlastung des Drehstromnetzes erfolgen, so dass der forcierte
Ausbau des Drehstromnetzes in der genannten Größenordnung auch aus
diesem Grunde nicht nachvollziehbar ist. Ein überdimensionierter
Netzausbau ist wirtschaftlich nicht vertretbar und damit nicht
genehmigungsfähig.
Durch den Einsatz von vier HGÜ-Systemen sollte eigentlich eine
deutliche Entlastung des Drehstromnetzes erfolgen, so dass der forcierte
Ausbau des Drehstromnetzes in der genannten Größenordnung auch aus
diesem Grunde nicht nachvollziehbar ist. Ein überdimensionierter
Netzausbau ist wirtschaftlich nicht vertretbar und damit nicht
genehmigungsfähig.
4. Massive Umweltbelastung
Der Begriff "Umweltverträglichkeit" kommt in dem von den ÜNB vorgelegten Dokument nicht ein einziges Mal vor! Der Aufrüstung bestehender Freileitungen auf einer Länge von 5.200km und dem Neubau von mehr als 3.400km neuer Freileitungstrassen (AC/DC) kann nicht ohne eine eingehende Prüfung der Umweltverträglichkeit der jeweiligen Trassierung zugestimmt werden. Es ist befremdlich, dass sich hierzu im NEP 2014 nicht ein Wort findet. Ist der Gesamtplan erst einmal genehmigt, steht zu befürchten, dass mit dem "Argument" der Dringlichkeit des Netzausbaus Umwelt- und Naturschutz ausgehebelt werden.
Die Bürgerinitiative betont die gesamtgesellschaftliche Bedeutung des Umwelt- und Naturschutzes und der Natur- und Großschutzgebiete, deren Integrität bei jeder Netzplanung respektiert werden muss.
5. Mangelnde Bereitschaft zur Implementierung und Anregung von Innovationen in der Netz- und Übertragungstechnologie
Der NEP ignoriert die Notwendigkeit der Entwicklung und Implementation neuer leistungsfähiger und umweltverträglicher Übertragungssysteme.Möglichkeiten der teilweisen Erdverkabelung werden (außerhalb der vierEnLAG-Pilotprojekte) nicht erwogen. Der Plan bietet, abgesehen von dem Versuch der Integration der HGÜ, keine Perspektive für innovative Entwicklungen in der Übertragungstechnik und Netztechnologie – insbesondere in Hinblick auf die Erdverkabelung und die Speichertechnologie - und behindert damit die Erforschung und Entwicklung innovativer Technologien auf diesem Gebiet.
6. Der geplante Netzausbau ist inflexibel und nicht zukunftsfähig
Der NEP enthält eine Fülle von Einzelmaßnahmen, die auf den umstrittenen Netzstudien der Deutschen Netzagentur basieren. Er beinhaltet auch eine Fortschreibung der EnLAG-Projekte (Startnetz), die vor Ort hoch umstritten sind.Die Formulierung des Zielnetzes führt zu einem geschlossenen Planungssystem,
in dem viele Entscheidungen bereits präjudiziert sind, so dass neuere Entwicklungen in der Stromerzeugungsstruktur (Regionalisierung, stärkeres Wachstum erneuerbarer Energien im Süden und Südwesten) nicht mehr angemessen berücksichtigt werden können, ja möglicherweise sogar dadurch verhindert werden könnten.
Gefragt ist ein offenes Planungssystem, das innovations- und damit zukunftsfähig ist und dem Charakter der erneuerbaren Energien gerecht wird.
7. Schlussfolgerungen
1. Die von den ÜNB vorgelegte Planung des Netzausbaus ist seit Anfang an durch die konzeptionelle Verengung der Netzplanung auf die Konservierung zentralistischer Strukturen geprägt. Folglich ist die Ausblendung des den erneuerbaren Energien eigenen Potentials zum dezentralen Strukturwandel die zentrale Schwäche des NEP 2014.
2. Der von den Übertragungsnetzbetreibern 2014 vorgelegte Netzentwicklungsplan besteht wie seine Vorgänger aus Elementen, die in der von den Netzbetreibern selbst vor vier Jahren veröffentlichten DENA-Netzstudie II als zu kostspielig verworfen worden sind. Während in der Dena - Netzsstudie II die Kosten des Netzausbau mit 9,7 Mrd. Euro beziffert werden, legen die ÜNB jetzt eine Planung vor, die diese Kosten um mehr als das Doppelte übersteigt.
3. Das Startnetz setzt die Realisierung aktuell höchst umstrittener Freileitungsprojekte ( z.B. „Uckermarkleitung“) voraus und ignoriert die Kritik an diesen Planungen.
4. Der Einsatz von vier Hochspannungsgleichstromübertragungssystemen sollte dazu führen, dass der Netzausbaubedarf im 380-kV- Drehstromsystem vermindert werden kann. Dies ist im NEP 2014 nicht vorgesehen.
5. Statt dessen präsentieren die ÜNB ein Konzept eines überdimensionierten Netzausbaus, dessen Auswirkungen auf die Umwelt nicht thematisiert werden. Umweltverträglichkeit von großen Infrastrukturprojekten ist immer zweifelhaft. Sie ist im Interesse der Allgemeinheit stets nachzuweisen.
6. Ein mittelfristig angelegter Netzentwicklungsplan sollte auch Impulse für innovative technische Lösungen vermitteln und für neue Lösungen offen und damit zukunftsfähig sein. Davon kann auch beim NEP 2014 keine Rede sein.
Die Bürgerinitiative „Biosphäre unter Strom - keine Freileitung durchs Reservat!“ hält deshalb an ihrer mit Blick auf den NEP 2012 formulierten Kritik an der Netzplanung fest, denn der NEP 2014 ist trotz einiger Modifikationen in seinen Grundzügen nur die Fortschreibung seiner Vorgänger. Dieser überdimensionierte Netzausbau ist weder wirtschaftlich vertretbar, noch umweltverträglich und verstößt damit gegen zwei wichtige Prinzipien, die erfüllt sein müssen, wenn ein Leitungsbau genehmigungsfähig sein soll.
Die Bürgerinitiative lehnt daher den NEP 2014 in seiner Gesamtheit ab. Sie kann der Bundesnetzagentur nur empfehlen, den NEP 2014 zu verwerfen und damit dem Gesetzgeber die Chance zu geben, die Konstruktion eines zukunftsfähigen Bundesnetzplanes in unabhängige Hände zu legen.
Chorin, 19.5.2014
Hartmut Lindner, Sprecher der Bürgerinitiative Biosphäre unter Strom - keine Freileitung durchs Reservat!