Seit einigen Wochen geistert das Gespenst der Schließung des letzten Großbetriebes durch unseren Landkreis. Das Gespenst ist ein sehr reales Gespenst und betrifft die Großbäckerei Bernau, heute zur Lieken AG gehörig. Die wiederum gehört zu Barilla in Mailand, also zu einem international agierenden Großkonzern. Wie Konzerne sio sind: Sie investieren im Jahre 2010 mehrere Millionen in die Großbäckerei Bernau, um sie dann 2011 zu schließen. Vorher hat man noch einen neuen Betrieb in Meck-Pomm gebaut, von dem aus man nun die ganze Bundesrepublik mit Brot zuschütten wird. In Bernau werden wahrscheinlich 270 Menschen ihre Arbeit verlieren.
Wen die Geschichte der Großbäckerei Bernau interessiert, kann hier nachlesen. Und einen Einblick in den Kampf der Arbeiter und Angestellten um ihre Arbeitsplätze gibt es hier. Leider zeigt sich bisher kein Einlenken der Geschäftsführung von Lieken. Verhandlungen mit dem Betriebsrat wurden in letzter Minute abgesagt, so dass im Moment alle Zeichen auf Schließung hin deuten.
Aber schon seit Anfang Mai naht Rettung in höchster Not: Dagmar Enkelmann, ehemalige Miss Bundestag, eines der schönen Gesichter der DDR, auch heute noch im Bundestag und Abgeordnete in der Bernauer Stadtverordnetenversammlung. Daggi hat ein Rettungskonzept für den Standort vorgeschlagen, bei dem mit öffentlicher Unterstützung und entsprechenden Finanzierungshilfen die Bäckerei durch Management-Buy-Out (MBO) oder andere Beteiligungsformen der Belegschaft fortgeführt werden könnte.
Nun ist Daggi ja Absolventin der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED und als solche sollte sie Karl Marx gelesen haben. Denn dieser schrieb in seiner "Kritik der hegelschen Rechtsphilosophie": " Der Mensch, das ist kein abstraktes, außer der Welt hockendes Wesen. Der Mensch, das ist die Welt des Menschen, Staat, Soziätät. " Soll heißen: Wir leben nicht außerhalb von Zeit und Raum und den gegenwärtigen Gegebenheiten. Soweit zur Theorie.
Was ist nun dran an Daggis Konzept zur Vergesellschaftung der Produktion, zunächst nur in Bernau? Kurz gesagt: Nichts! Weil wir eben nicht außerhalb dieser Welt leben. Spezialiserung und Konzentration der Produktion in der Lebensmittelindustrie haben bestimmte Ursachen, u.a. auch die immer weitere Konzentration bei den Handelsketten. Der Bäcker an der Ecke kann nicht z.B. Aldi beliefern. Die GB Bernau verarbeitete 2001 (neuere Zahlen habe ich nicht) 120 t Mehl – pro Tag . Man rechnet bei Brot mit einem durchschnittlichen Wassergehalt von 60 %. 120 t Mehl pro Tag bedeuten also etwa 180 bis 190 t Brot. Das sind 180.000 bis 190.000 Ein-Kilogramm-Brotlaibe PRO TAG. Spezialisiert auf drei Produktlinien. Eben nicht wie der Bäcker an der Ecke oder das Anfang der 90er Jahre privatisierte Backwarenkombinat Neubrandenburg (Daggis Beispiel für geglückte MBOs), die vom Spritzkuchen bis zum Weizenbrot alles selber machen. Und genau DA liegt wahrscheinlich der Trugschluss, dem alle Management-Buy-Out- Befürworter aufsitzen.
Gehen wir mal zum Aldi/Rewe/Netto an der Ecke und zählen dort die Brotlaibe im Regal und dann sehen wir, dass Bernau ein riesiges Territorium mit maximal drei bis vier Produkten, die dort hergestellt werden (eben nicht mit Spritzkuchen, Erdbeertorte, Schrippen, Weizenbrot und Schwarzwälder-Kirsch undundund) , beliefert, um rentabel zu sein. Alles andere bedeutet Investitionen in neue Technik, verbunden mit Sortimentserweiterungen, Entlassungen und einerNeustrukturierung der Belegschaft. Wer besorgt die Kredite dafür? Herr Most? Mal ganz ehrlich: Würde irgendeine Sparkasse diesem Konstrukt einen Kredit für dringend nötige Investitionen oder gar für Lohnfortzahlungen geben?
Auch ein Edgar Most konnte übrigens in seiner Funktion bei der Deutschen Bank sowie im Beraterkreis der Bundesregierung für den Aufbau Ost nach der Wende nicht verhindern, dass große und erfolgreiche Lebensmittelbetriebe der DDR im westdeutsch dominierten Handel nicht gelistet wurden und damit untergingen.
Dazu kommt, dass auf dem Gebiet der Backwarenproduktion in der BRD seit Jahren ein harter Verdrängungswettbewerb tobt. Es gibt riesige Überkapazitäten. Ausdruck dafür ist auch der Rückgang des Versorgungsanteils des Handwerks von 1989 noch über 50 Prozent auf heute nur noch 30 Prozent.
Man kann in Deutschland alles produzieren. Man muss es “nur” absetzen. Und das geht eben nicht ohne den Handel. Das ist das Hauptproblem, nicht in der Rechtsform oder wie man Barilla das Werk abluchst.. Gerade die Rechtsform ist eine völlig sekundäre Frage, das Ding muss nicht eine Genossenschaft sein, es könnte auch GmbH & Co. KG oder was auch immer werden.
Aber: Mit dem Genossenschaftsgedanken wird von einigen interessierten Personen suggeriert, dass die ganze Angelegenheit machbar wäre. Deshalb und weil eine Genossenschaft nicht zukunftsfähig ist – wo sind denn in den letzten Jahrzehnten die Molkereigenossenschaften geblieben ? - plädiere ich für die bittere Wahrheit. Auch wenn es mir persönlich wehtut, denn ich hänge an dieser Bäckerei, hat sie mich und meine damals gerade gegründete Familie doch zwei Jahre lang ernährt
Von den Mächtigen dieses Bundeslandes sollte man verlangen, dass sie wirkliche Auswege benennen und nicht vorfristigen Wahlkampf machen. Dazu gehört auch eine Analyse, warum es für Barilla offensichtlich billiger ist, in MeckPomm einen neuen Betrieb zu bauen, als in Bernau zu bleiben. Liegt das vielleicht an den drohenden Altanschließerbeiträgen für Wasser und Abwasser, die sich im Falle Bernau leicht zu einigen Millionen summieren können? Kann es sein, dass die verfehlte Wasser-und Abwasserpolitik des Landes in den 90er Jahren mit ihren heutigen Auswirkungen für einen weiteren industriellen Kahlschlag sorgt?
Und nicht zuletzt muss es um neue Perspektiven gehen. Beispielsweise würde ich mich als Bundestagsabgeordnete und Mitglied der Bernauer SVV bei der Firma Wolf Motors in Baden- Württemberg im bildlichen Sinne auf die Türschwelle legen, um endlich definitive Aussagen zu erhalten, wo es bei der einst zugesagten Ansiedlung dieser Firma in Bernau noch klemmt. Damit man diese Klemmer beseitigt und in Bernau endlich wieder neue, zukunftsträchtige Arbeitsplätze entstehen...
Foto: Rainer Sturm / pixelio.de
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