
Geht es Ihnen auch so: Sie haben sich einige Monate oder Jahre an einen bestimmten Radiosender oder an eine Zeitung gewöhnt und plötzlich können Sie mitverfolgen, wie dieses Medium immer schlechter wird, wie die Sprecher oder Journalisten zusehens verblöden, sich die ganze Angelegenheit mehr und mehr in Dudelfunk oder in ein Revolverblatt a la "Blöd-Zeitung" verwandelt? Mir ging es nach der Wiedervereinigung mit dem RIAS so, der plötzlich rs2 hieß, oder auch mit Medien der ehemaligen DDR, die ihre beste Zeit zwischen November 1989 und September 1990 gehabt hatten. Plötzlich nach der Maueröffnung paarte sich die errungene Freiheit mit der soliden Ausbildung der DDR-Journalisten. Zeitungen sowie Rundfunk und Fernsehen wurden richtig gut. Natürlich war ab Oktober 1990 die ganze Herrlichkeit vorbei, denn nun fielen die Wessis mit Kapital und ihren abgeschmackten Erfahrungen aus 40 Jahren Journaillie auch in den Osten ein.Sofort begann wieder die Unfreiheit, man durfte wahlweise die Eigentümer/Leser/Hörer/Zuschauer nicht verprellen und überhaupt musste man Zeitungen/Radio/Fernsehen ganz anders machen. Journalistenhochschule ? Nebbich! Ein paar Halbwahrheiten, verpackt als Sensation reichen völlig aus. Adele, schöne neue Freiheit.Und tschüß Qualität. Ein besonders trauriges Beispiel ist die "Berliner Zeitung". Auch sie erlebte 1989/1990 eine kurze journalistische Blütezeit von etwa 10 Monaten. Danach ging es unter Erich Böhme nur noch bergab. Ich weiß das so genau,weil wir das Blatt abonniert hatten und ich mir irgendwann fast gewaltsam verbieten musste, die inzwischen zum Käseblatt mutierte "Zeitung der Hauptstadt" abzubestellen. 1991 war es dann trotzdem so weit, es ging nicht mehr, meine Magennerven streikten und ich bin kein Masochist. Böhme - von der herrschenden Klasse und ihrer Kamarilla stets gelobt und mit Talkshows und ähnlichen Quatsch im Fernsehen belohnt - liess sich selbstverständlich davon nicht beeindrucken. Inzwischen wurde die "Berliner" von sogenannten "Heuschrecken" aufgekauft, was ihr auch nicht sonderlich bekam. Heute lese ich das Blatt nur noch im Wartezimmer meines Hausarztes, das reicht, die Zeitung hat sich nicht verbessert.
Neulich nun beehrte die Hauptstadtzeitung tatsächlich Bernau.Nach dem bewährten Mittel "Mische ein paar Halbwahrheiten mit Empörung und heiligem Eifer und schaffe sodann neue Feindbilder" hatte man die "Brandenburger Vereinigte Bürgerbewegung/50Plus" als rechtslastigen Spießgesellen von NPD und DVU ausgemacht.Nachdem es Proteste hagelte, schob eine offensichtlich überforderte (scheinheilige) Jeanne de Arc diesen Unsinn hier nach.
Eigentlich lohnte der ganze Quatsch - zumal widerlegbar- die Aufregung nicht, wenn, ja wenn nicht folgendes, sehr Bedenkenswertes passiert wäre:
M. und ich hatten uns an zwei Abenden der vorigen Woche zusammengesetzt und unter Nutzung der Tagebücher aus der NS-Zeit von Victor Klemperer einen Lesetext zusammengestellt, den wir auf einer Veranstaltung gegen Nazis in Schönow vorlesen wollten.Leider war ich geschäftlich verhindert, so dass M. allein zu der Veranstaltung ging. Im Vorfeld des Leseabends trat ein Paar aus Panketal auf, das Kopien des ersten Artikels der “Berliner Zeitung” verteilte. Als meine Frau in Unkenntnis der Situation bemerkte, dass ihr Mann für diese Liste kandidiere, wollte ihr dieses saubere, empört-aufgeblähte Pärchen das Recht absprechen, auf der Veranstaltung aufzutreten. Was ist das? Demokratie oder Hexenjagd? Ich gebe sehr viel auf M.s Urteil. Sie hat den Artikel gelesen und - hat ihn nicht verstanden. Neben unterschwelligen Unterstellungen und düsterem Gewabere über die Nähe zwischen NPD/DVU und Bürgerbewegten in Bernau kommt doch eigentlich nur heraus, dass der Zahnarzt Dr. Weßlau “vermögend” und Hobbyflieger ist. Dieses “vermögend” wird übrigens auch im zweiten Artikel ausdrücklich betont. Nur Sozialneid oder wirklich Goebbels pur? "Blöd-Zeitung" für etwas Betuchtere, allerdings offenbar nicht im Geiste?
Auf der o.g Veranstaltung wurde noch etwas weit Schlimmeres deutlich: Da gibt es in Schönow/Bernau den Verein “Wir für Schönow”, die Kirche, einen anderen Verein für Toleranz und und und. Alle kämpfen gegen Nazis und alle bleiben für sich. Und in einem Nebensatz kommt dann heraus, dass sich der 15-jährige Sohn eines der 15 (!) Veranstaltungsteilnehmer schon nicht mehr traut, auf einer derartigen Veranstaltung zu sprechen, weil er Prügel von seinen Mitschülern fürchtet. Was bleibt als Schlussfolgerung? Koffer packen ? Wir haben seit mehr als 40 Jahren sehr gute Freunde in England. Oder sollte man sich nicht - verschiedene Weltanschauungen hin oder her - lieber zusammenschließen? Denn sonst geht es den Demokraten in Deutschland am Ende so wie nach 1933: Das erste Mal, dass sie sich einig waren, war dann im Nazi-KZ.
Übrigens: Bisher konnte mir keiner der von heiligem Eifer erfüllten Diskutanten und Kämpfer gegen den Faschismus überzeugend erläutern, warum die Brandenburger Nazis bei zwei zugelassenen rechtextremen Parteien, nämlich der DVU und der NPD, ausgerechnet unser Bürgerbündnis wählen sollen...
Bild: Gerd Altmann (http://www.pixelio.de)
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