Als unser HGLer (Hausgemeinschaftsleiter, allgemein gesprochen eine Art "Blockwart") mich am 7. Oktober 1989 damit bedrohte, meine Parteileitung darüber zu informieren, dass ich zum Republikgeburtstag nicht ordentlich die DDR-Fahne geflaggt hatte, habe ich ihn rausgeschmissen. Ich war der Meinung, dass wir als Republik andere Probleme hätten.
Vorausgegangen waren diesem Wutanfall Monate des Chaos, in denen wir uns in unserem Ministerium in Tag - und Nachtschichten verzweifelt bemühten, unsere Arbeit zu machen. Wir waren für die Ernährung der Bevölkerung verantwortlich, die Lücken, die die anhaltende Flucht vieler DDR-Bürger über Ungarn in den Betrieben und Kombinaten der Backwaren- und Teigwarenindustrie, der Brauereien und Konservenfabriken usw. riss, wurden immer größer. Bei den meisten Menschen, die hier blieben, herrschte eine Stimmung wie heute nach den ersten Schandtaten der Scheinregierung des Merzels. Das heißt, sie war im Keller.Äußerungen der Partei- und Staatsführung, die wenig Grund zum Optimismus boten, taten ein Übriges. Die "Genossen" unter uns wurden vom altstalinistischen Kaderleiter und dem vom Zentralkomitee der SED eingesetzten Parteisekretär verpflichtet, sich am Sonnabend oder Sonntag unter das Publikum z.B. in der Zionskirche zu mischen und darüber einen Bericht abzufassen. Ich weiß nicht, ob sie hingegangen sind.
Noch im September 1989 schmiss eine "erboste" Parteigruppe - natürlich auf höhere Weisung - einen der Ihren aus der SED, weil er Kritik an den Oberen gewagt hatte. Noch im Januar 1990 verlangte unsere Vorsitzende der Betriebsgewerkschaftsleitung von uns als der zuständigen Abteilung die Plankennziffern für den kommenden Fünfjahrplan. Die hat sie dann auch bekommen und wir mussten dafür nicht einmal eine Kristallkugel bemühen. Die alte ingenieurtechnische Formel PI mal Daumen mal Fensterkreuz reichte völlig aus.Auch die Entmachtung Honeckers und die ersten Äußerungen des neuen Generalsekretärs Krenz führten nicht zu vermehrtem Optimismus unter der hiergebliebenden Bevölkerung und damit auch nicht zu erhöhter Arbeitsproduktivität. Was wiederum zu erhöhtem Arbeitsanfall bei uns Planern und Lenkern der Volkswirtschaft führte. Und je mehr geplant und gelenkt wurde, umso größer wurde das Chaos und umso hektischer wurden die Bonzen der Blockparteien.
Wem diese Ereignisse bekannt vorkommen, hat wahrscheinlich Recht. Geschichte wiederholt sich auf die eine oder andere Weise. Wir sind nach 35 Jahren erneuter Bonzenwirtschaft in Deutschland eine etwas größere DDR geworden, nur mit besseren (und mehr!) Computern. Meine wesentliche Erkenntnis aus sechs Jahren Tätigkeit in der Volkswirtschaft der DDR lautet, dass der Staat sich aus der Wirtschaft unbedingt heraushalten sollte. Deshalb braucht es auch keine Energie- , Wirtschafts- oder Umweltministerien, ganz abgesehen von Ministerien für "Gedöns".
Auch kann nur das verteilt werden, was erwirtschaftet wurde. Das weiß nicht nur eine schwäbische Hausfrau. Da helfen keine Tricksereien, keine Parteitagsreden, keine "richtige Haltung", keine Milliardenkredite ( Franz Josef S. und Honecker sind übrigens tot), keine KI oder auch keine sogenannten "Sondervermögen".
Die wichtigste Erkenntnis aber besteht darin, dass man das Volk, den großen Lümmel, nicht ewig verscheißern kann oder wie schon Abraham Lincoln sagte: Man kann das ganze Volk eine Zeit lang täuschen und man kann einen Teil des Volkes die ganze Zeit täuschen, aber man kann nicht das ganze Volk die ganze Zeit täuschen...
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