- AN DIE GLEICHGESCHALTETEN
-
Um sein Brot nicht zu verlieren
In den Zeiten zunehmender Unterdrückung
Beschließt mancher, die Wahrheit
Über die Verbrechen des Regimes bei der Aufrechterhaltung der Ausbeutung
Nicht mehr zu sagen, aber
Auch die Lügen des Regimes nicht zu verbreiten, also
Zwar nicht zu enthüllen, aber
Auch nichts zu beschönigen. Der so Vorgehende
Scheint nur von neuem zu bekräftigen, daß er entschlossen ist
Auch in den Zeiten zunehmender Unterdrückung
Sein Gesicht nicht zu verlieren, aber in Wirklichkeit
Ist er doch nur entschlossen
Sein Brot nicht zu verlieren. Ja, dieser sein Entschluß
Keine Unwahrheit zu sagen, dient ihm dazu, von nun an
Die Wahrheit zu verschweigen. Das kann freilich
Nur eine kleine Zeit durchgeführt werden. Aber auch zu dieser Zeit
Während sie noch einhergehen in den Ämtern und Redaktionen
In den Laboratorien und auf den Fabrikhöfen als Leute
Aus deren Mund keine Unwahrheit kommt
Beginnt schon ihre Schädlichkeit. Wer mit keiner Wimper zuckt
Beim Anblick blutiger Verbrechen, verleiht ihnen nämlich
Den Anschein des Natürlichen. Er bezeichnet
Die furchtbare Untat als etwas so Unauffälliges wie Regen
Auch so unhinderbar wie Regen.
So unterstützt er schon durch sein Schweigen
Die Verbrecher, aber bald
Wird er bemerken, daß er, um sein Brot nicht zu verlieren
Nicht nur die Wahrheit verschweigen, sondern
Die Lüge sagen muß. Nicht ungnädig
Nehmen die Unterdrücker ihn auf, der da bereit ist
Sein Brot nicht zu verlieren.
Er geht nicht einher wie ein Bestochener
Da man ihm ja nichts gegeben, sondern
Nur nichts genommen hat.
Wenn der Lobredner
Aufstehend vom Tisch der Machthaber, sein Maul aufreißt
Und man zwischen seinen Zähnen
Die Reste der Mahlzeit sieht, hört man
Seine Lobrede mit Zweifeln an.
Aber die Lobrede dessen
Der gestern noch geschmäht hat und zum Siegesmahl nicht geladen war
Ist mehr wert. Er
Ist doch der Freund der Unterdrückten. Sie kennen ihn.
Was er sagt, das ist
Und was er nicht sagt, ist nicht.
Und nun sagt er, es ist
Keine Unterdrückung.
Am besten schickt der Mörder
Den Bruder des Ermordeten
Den er gekauft hat, zu bestätigen
Daß ihm den Bruder
Ein Dachziegel erschlagen hat. Die einfache Lüge freilich
Hilft ihm, der sein Brot nicht verlieren will
Auch nicht lange weiter. Da gibt es zu viele
Seiner Art. Schnell
Gerät er in den unerbittlichen Wettkampf aller derer
Die ihr Brot nicht verlieren wollen: es genügt nicht mehr der Wille zu lügen.
Das Können ist nötig und die Leidenschaft wird verlangt.
Der Wunsch, das Brot nicht zu verlieren, mischt sich
Mit dem Wunsch, durch besondere Kunst dem ungereimtesten Gewäsch
Einen Sinn zu verleihen, das Unsagbare
Dennoch zu sagen.
Dazu kommt, daß er den Unterdrückern
Mehr Lob herbeischleppen muß als jeder andere, denn er
Steht unter dem Verdacht, früher einmal
Die Unterdrückung beleidigt zu haben. So
Werden die Kenner der Wahrheit die wildesten Lügner.
Und das alles geht nur
Bis einer daherkommt und sie doch überführt
Früherer Ehrlichkeit, einstigen Anstands, und dann
Verlieren sie ihr Brot.
Über die Verbrechen des Regimes bei der Aufrechterhaltung der Ausbeutung
Nicht mehr zu sagen, aber
Auch die Lügen des Regimes nicht zu verbreiten, also
Zwar nicht zu enthüllen, aber
Auch nichts zu beschönigen. Der so Vorgehende
Scheint nur von neuem zu bekräftigen, daß er entschlossen ist
Auch in den Zeiten zunehmender Unterdrückung
Sein Gesicht nicht zu verlieren, aber in Wirklichkeit
Ist er doch nur entschlossen
Sein Brot nicht zu verlieren. Ja, dieser sein Entschluß
Keine Unwahrheit zu sagen, dient ihm dazu, von nun an
Die Wahrheit zu verschweigen. Das kann freilich
Nur eine kleine Zeit durchgeführt werden. Aber auch zu dieser Zeit
Während sie noch einhergehen in den Ämtern und Redaktionen
In den Laboratorien und auf den Fabrikhöfen als Leute
Aus deren Mund keine Unwahrheit kommt
Beginnt schon ihre Schädlichkeit. Wer mit keiner Wimper zuckt
Beim Anblick blutiger Verbrechen, verleiht ihnen nämlich
Den Anschein des Natürlichen. Er bezeichnet
Die furchtbare Untat als etwas so Unauffälliges wie Regen
Auch so unhinderbar wie Regen.
So unterstützt er schon durch sein Schweigen
Die Verbrecher, aber bald
Wird er bemerken, daß er, um sein Brot nicht zu verlieren
Nicht nur die Wahrheit verschweigen, sondern
Die Lüge sagen muß. Nicht ungnädig
Nehmen die Unterdrücker ihn auf, der da bereit ist
Sein Brot nicht zu verlieren.
Er geht nicht einher wie ein Bestochener
Da man ihm ja nichts gegeben, sondern
Nur nichts genommen hat.
Wenn der Lobredner
Aufstehend vom Tisch der Machthaber, sein Maul aufreißt
Und man zwischen seinen Zähnen
Die Reste der Mahlzeit sieht, hört man
Seine Lobrede mit Zweifeln an.
Aber die Lobrede dessen
Der gestern noch geschmäht hat und zum Siegesmahl nicht geladen war
Ist mehr wert. Er
Ist doch der Freund der Unterdrückten. Sie kennen ihn.
Was er sagt, das ist
Und was er nicht sagt, ist nicht.
Und nun sagt er, es ist
Keine Unterdrückung.
Am besten schickt der Mörder
Den Bruder des Ermordeten
Den er gekauft hat, zu bestätigen
Daß ihm den Bruder
Ein Dachziegel erschlagen hat. Die einfache Lüge freilich
Hilft ihm, der sein Brot nicht verlieren will
Auch nicht lange weiter. Da gibt es zu viele
Seiner Art. Schnell
Gerät er in den unerbittlichen Wettkampf aller derer
Die ihr Brot nicht verlieren wollen: es genügt nicht mehr der Wille zu lügen.
Das Können ist nötig und die Leidenschaft wird verlangt.
Der Wunsch, das Brot nicht zu verlieren, mischt sich
Mit dem Wunsch, durch besondere Kunst dem ungereimtesten Gewäsch
Einen Sinn zu verleihen, das Unsagbare
Dennoch zu sagen.
Dazu kommt, daß er den Unterdrückern
Mehr Lob herbeischleppen muß als jeder andere, denn er
Steht unter dem Verdacht, früher einmal
Die Unterdrückung beleidigt zu haben. So
Werden die Kenner der Wahrheit die wildesten Lügner.
Und das alles geht nur
Bis einer daherkommt und sie doch überführt
Früherer Ehrlichkeit, einstigen Anstands, und dann
Verlieren sie ihr Brot.
Bert Brecht (1935) oder 2014?
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