Als mir meine britische Brieffreundin Marie schon 1969 das Buch "1984" von George Orwell empfahl, war ich noch ziemlich ahnungslos. Allerdings war ich auch nicht so blauäugig, in einer Ostberliner Buchhandlung danach zu fragen. Später dann, als ich das Buch hätte kaufen und lesen können, habe ich mich immer davor gescheut. Zu nachhaltig waren die Erlebnisse mit unseren Altstalinisten in meiner Jugend, in Schule und Sportklub. Jedes Gegen-den Stachel-löcken wurde sofort im Keim erstickt und der aufmüpfige, widerborstige Jugendliche sofort abgestraft.
Die Erlebnisse mit der innerparteilichen Demokratie in der SED taten ihr übriges, so dass ich mich nie wieder mit Dogmatismus und Unterdrückung in einer Gesellschaft beschäftigen wollte. Dabei hatte ich mich so manches Mal über die Erzählungen meiner Altersgenossen in der Bunten Republik gewundert, deren Lehrer den unseren nicht ganz unähnlich waren. Es sollte allerdings noch fast 34 Jahre nach der sogenannten Wiedervereinigung dauern, bis sich so richtige Parallelen einstellen würden.
Der „unter dem Eindruck des Nazismus, des Stalinismus und der Wirtschaftspolitik der Industriestaaten während des Zweiten Weltkriegs“ (Kindlers Literatur Lexikon) entstandene Roman wird oft dann zitiert bzw. sein Titel oder der Name Orwell genannt, wenn es darum geht, staatliche Überwachungsmaßnahmen kritisch zu kommentieren oder auf Tendenzen zu einem Überwachungsstaat hinzuweisen. George Orwell hatte "1984", in dem ein totalitärer Überwachungsstaat im Jahr 1984 dargestellt wird, schon 1948 fertiggestellt. Hauptperson ist Winston Smith, ein einfaches Mitglied der diktatorisch herrschenden, fiktiven Staatspartei Sozialistische Partei Englands, auf die sich die herrschende politische Ideologie Engsoz (Englischer Sozialismus, original Ingsoc) stützt. Der allgegenwärtigen Überwachung zum Trotz will Smith seine Privatsphäre sichern und etwas über die real geschehene Vergangenheit erfahren, die von der Partei durch umfangreiche Geschichtsfälschung verheimlicht wird. Er beginnt heimlich ein Tagebuch zu führen und nachzudenken, dadurch gerät er mit dem System in Konflikt, das ihn gefangen nimmt, foltert und einer Gehirnwäsche unterzieht.Ein ruhiger Abend bei unserem Jüngsten führte nun unlängst dazu, dass ich mir "1984" doch noch zu Gemüte führen wollte. Die Enkelin war im Bett und nach ihren ersten Kita-Stunden schon längst eingeschlafen. Auch Oma und Opa waren müde, aber noch nicht so richtig. Ich schlug "1984" auf und da waren sie wieder: Die Parteielite der Grünen, Roten, Gelben und Schwarzen , die Schwätzer und Mitläufer, die Denunzianten, die Gedankenpolizei (die einem jede Wortmeldung in den wenigen, verbliebenen Leserbriefspalten ankreidet), das Staatsfernsehen mit den Umerziehungsprogrammen und "Zwei Minuten Hass", die Blödermanns, Kevins, Tschäblis, Fäncies, Plapperlenas und der Hühnerficker H. auf dem Posten des "Mißwirtschaftsministers"sowie die ganzen Küchenschaben dieses ekligen politischen Systems, das vor allem unter Murksel zu unerreichter Blüte herangewachsen war, scheinen geradezu aus Orwells Werk entsprungen zu sein. Sprache und Geschichte werden bereinigt, Kinder werden zunehmend verblödet, die Einheitspartei beeinflusst das Denken in allen Ebenen wie z.B. in der Küche, beim Essen oder beim Sport in ihrem Sinn mit ständig wiederholten Parolen wie „Krieg ist Frieden“, „Freiheit ist Sklaverei“ und „Unwissenheit ist Stärke“. "Deutschlands Freiheit wird am Hindukush oder in den Steppen der Ukraine" verteidigt, koste es was es wolle und dauere so lang wie es muss. Auch wenn meine Wähler anders darüber denken. Nichts ist uns für jedweden Unsinn in aller Welt zu teuer. Lächerliche "Wachstumschancengesetze", "Doppelwummse", "Sondervermögen" für reale Staatsschulden, "Wende" hier und "Wende" da, nichts weiter als eine gewisse Kreativiät in der Sprache der Volksverdummung. Immerhin.Im Laufe der Handlung von "1984" wird auch die Frage aufgeworfen, ob die Partei den Krieg mit den anderen Ländern und den Terror der Untergrundbewegung nicht vielleicht insgeheim selbst inszeniert, um einen Vorwand für die massive Überwachung, den permanenten Ausnahmezustand und die umfassende Unterdrückung zu schaffen. Die heute scheinbar von langer Hand geplanten Demos gegen Rechts, die Ausgrenzung Andersdenkender, die ausufernde Kriminalität, dabei die Härte der Justiz nicht etwa gegen Kriminelle, sondern vor allem gegen Unangepasste, die Diffamierung Unbequemer scheinen geradezu aus Orwells Buch entsprungen zu sein und als Kochrezept für die Innenministerin und ähnliches Gesindel zu dienen. Wir erregen uns über den Tod eines russischen Nazis im Straflager, lassen aber einen Menschen wie Assange im Knast verfaulen, weil er die unseligen Taten des Großen Bruders aufgedeckt hat.
Ich wollte nun wirklich kein Gedankenverbrechen begehen und habe das Buch von George Orwell ungefähr nach der Hälfte lieber wieder in das Regal gestellt. Zu sehr hatte mich beim Lesen die trübe Gegenwart eingeholt...
Mal nachgedacht, warum die Werteunion erst eine Mitgliedschaft nach 15-monatigen Bewährungszeit möglich ist? Dies soll sich aus den Erfahrungen einen ehemaligen Bundesbehördenchef ergeben. Dieser könnte die Unterwanderungsmethode durch IM`s dieser Behörde kennen.
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