
"Welche Idee lag dem Bau der DDR zugrunde, der, 1945 begonnen, seit 1990 zwar als einzige Ruine dargestellt wird, eine Ruine aber doch selbst im Moment seines Abrisses so wenig war wie der Berliner Palast der Republik? Hat die Idee oder haben die Baumeister sich blamiert? Haben die Planenden wie die Ausführenden sich übernommen? Handelte es sich um eine Fehlkonstruktion von Anbeginn? Und: Von wem stammte die Idee eigentlich? Von Karl Marx? Wie war der auf sie gekommen? So fragend, würde ein anderes Niveau der Beschäftigung mit deutscher Geschichte erreicht als mit der Neugier, ob in Kindergärten im DDR-Staat die Kleinen Papier und Buntstifte nur erhielten, um schwerbewaffnete NVA-Soldaten und ihre Fahnen schwenkenden älteren FDJ-Geschwister zu malen, oder ob es ungescholten auch Osterhasen und Weihnachtsmänner, das Sandmännchen und Pittiplatsch sein durften.
Wäre dieses Terrain des Fragens und Forschens einmal betreten, ließe sich geschultes Denken nicht anhalten und auf die Betrachtung des untergegangenen Staates begrenzen. Es würde dann auch die Sicht auf die Gegenwart der Bundesrepublik geschärft. Was an ihr zu verändern wäre, erschöpfte sich dann nicht in Erörterungen darüber, ob die Bankenaufsicht verbessert und Managern einen Obergrenze ihrer Bezüge diktiert werden soll bzw. ob Politiker sich als Bändiger des Raubtierkapitalismus qualifizieren können und der gefesselte Kapitalismus fähig sein wird, sich wieder zu entfesseln. Die DDR-Geschichte lädt zur Debatte über Alternativen menschlichen Handelns ein. Ist das gewollt? Offenkundig nicht. Der für die Herrschenden gut handhabbare Bürger zeichnet sich dadurch aus, daß er bestimmte Fragen nicht stellt. (In der DDR hieß der Slogan »So, Genosse, kannst du die Frage nicht stellen.«) Damit er das nicht tut, wird sein Denken rechtzeitig ausgerichtet. Das machen anfangs Lehrer, später Politiker und alltäglich die Moderatoren der verschiedensten Fernsehsendungen. Nicht, daß den Krauses das Fragen abgewöhnt werden könnte – sie dürfen in einem wohlpräparierten Fragedschungel herumirren, in dem ihnen die Illusion bleibt, mündige Bürger zu sein."
(Der Historiker Kurt Pätzold in dem Essay " Streitobjekt DDR " für die "jw" vom 13.11.2009)
Zur Zeit verfolge ich eher angeekelt, aber auch amüsiert die offensichtlich bestellten und daher doch immer peinlichen, zustimmenden Leserbriefe in unserer Lokalpresse zu den Jubelveranstaltungen vom 9. November. Da die Qualität und die Quantität der Feiern Ausmaße, Penetranz und geistlose Inhalte annahmen, die vergleichbare offizielle Festivitäten im untergegangenen deutschen Staat wesentlich übertrafen, haben die meisten Menschen aus meinem Bekanntenkreis - darunter durchaus auch CDU-Wähler - Radio und Fernsehen mehrere Tage lang ignoriert. Für normal denkende Menschen war das Getöse nicht mehr auszuhalten. Man erreichte eigentlich nur, dass auch politisch eher unbedarfte Menschen misstrauisch geworden sind und sich inzwischen die Frage stellen, was man eigentlich hinter den bunten Nebelwänden zu verbergen hätte. Mir fiel sofort das Märchen von des Kaisers neuen Kleidern ein. Wer sagt der Merkel eigentlich endlich einmal, dass ihre Clownstruppe hinter dem ganzen Zirkus vollkommen nackt daherkommt ?
Allerdings gibt es auch etwas Positives über die fast wütenden Festivitäten a la " werdet ihr wohl endlich glauben, dass die DDR ein Unrechtsstaat war!" zu bemerken: Einmal ist da der Fakt, dass anlässlich der Feierlichkleiten die sogenannten Bürgerrechtler der DDR wieder einmal von der Leine gelassen worden sind. Nachdem mit Meckel und seiner Zaunlatte in diesem Jahr auch der letzte dieser wichtigen Kräfte aus dem Bundestag geflogen ist, war es sehr, sehr still geworden um unsere "Revolutionäre". Nun durften die Hilsberg, Meckel und Lengsfeld sowie die übrigen Pastoren und ihre Töchter mal wieder unter die Menschen. Heulsuse Bohley fehlte. Wie schön...
Der zweite positive Fakt über die peinlichen Festivitäten der Merkel und Co. ist durchaus ernsthaft gemeint: Unsere Generation, also die der 40-bis 60-jährigen, hat man ja nicht nur ideologisch bereits seit langem abgeschrieben, da wir noch eigene, zweifellos differenzierte Erfahrungen über das Leben in der DDR haben. (Die materielle Bestrafung für unser Leben in der DDR und den anschließenden Widerstand gegen die Verdummung durch die herrschenden Ideologen wie Gauck, Birthler oder Knabe und die Auslassungen solcher Widerstandskämpfer wie Merkel oder Thierse kommt spätestens mit der Berentung, wenn die Arbeitslosenzeiten seit 1990 berücksichtigt werden)
Obwohl unsere Erfahrungen mit dem Leben in der DDR nicht immer positiv waren, lassen wir uns dieses Leben nicht gern von anderen erklären. Inzwischen haben wir nämlich auch erfahren, dass unsere Altersgefährten im Westen ähnliche Erfahrungen mit ihren Bonzen machen und sich meist viel mehr anpassten mussten, als es in der DDR der Fall war.
Es gab trotzdem einen wesentlichen Unterschied mit Relevanz zu heute: Während man in der DDR den Chef durchaus vor allen Kollegen als unfähig bezeichnen durfte (man musste es nur sachlich begründen und Vorschläge zur Veränderung der Situation machen), führt das in der BRD in jedem Fall - auch wenn man Recht hat und die Firma wegen der Dummheit der Chefs kurz vor der Pleite steht - zur Entlassung mit allen ökonomischen Folgen für den Einzelnen bis hin zu einem deutschen Mittelgebirge vierter Klasse. Auch diese Erfahrung haben wir machen müssen und wir haben diese Erfahrung natürlich mit unserem Leben in der DDR verglichen.
Womit sich quasi ganz nebenbei schon wieder eine Frage stellt: Wer war "die DDR" eigentlich? Meinen wir nicht, wenn wir " die DDR" im negativen Sinne sagen, eigentlich immer nur die engstirnigen, aber mächtigen Bonzen aller Coleur, die es so oder etwas anders mit verschiedenen Bezeichnungen in jeder Gesellschaft und wahrscheinlich immer geben wird ?
Das ganze Brechreiz erregende Tamtam der Feierei wird nur für die jungen Leute veranstaltet. Man meint, dass in zwei bis drei Generationen nicht mehr über die DDR gestritten werden wird, dass die Menschen dann endlich ein Geschichtsbild akzeptieren, das einzig und allein vom "Sieger" mit seinen Interessen zusammen geschmiert worden ist. Allerdings werden auch künftige Generationen - so man die Schulen nicht gänzlich abschafft und das Denken verbietet - weiterhin lernen zu vergleichen und sie werden den hehren Anspruch der sogenannten sozialen Marktwirtschaft an der harten Realität der kapitalistischen Globalisierung messen. Und schließlich merken, dass an diesem mit dem Holzhammer vermittelten Geschichtsbild über den vergangenen ostdeutschen Staat, der zur Zeit jeden Tag neu totgeschlagen werden muss, irgend etwas nicht stimmen kann...
Foto: "Auferstanden aus Ruinen" - Bronze "Johannes R. Becher" von Fritz Cremer im Bürgerpark Berlin-Pankow (schubalu, www.pixelio.de)
Schlaues Zitat und gelungene Analyse. Auch junge Menschen (egal ob Ost oder West) werden mißtrauisch wenn ihnen ein einseitiges Geschichtsbild mit viel Tamtam und in rechthaberischer Manier vermittelt wird.
AntwortenLöschenGerade deshalb kann man das "Vereinigungsgetöse" getrost ignorieren -- die selbsternannten "DDR Experten" in Politik und Medien demontieren sich gerade selbst.