Kann sich noch jemand an Captain Obvious erinnern? Sein deutscher Kollege ist der Hauptmann Binse. Das ist der, der im Auftrag der Bundesregierung oder ähnlich gelagerter Institutionen ständig diese Binsenweisheiten von sich gibt. Im Moment hat man den Eindruck, die haben im Bundestag nicht nur die Aufstockung der Afghanistan-Truppe beschlossen. Auch Binse und seine Zuträger haben kräftig staatlich geförderten Zuwachs bekommen:
- Da gibt es das Bundesministerium für Dies und Das. Und dieses Mysterium (immer diese Schreibfehler) hat tatsächlich 1,7 Millionen Euro für eine soziologische Studie in der Stadt Wittenberge in der Prignitz ausgegeben. Forscher haben die Ossis in Wittenberge wie Schaben unter die Lupe genommen und herausgefunden, wie die in diesem dreckigen Kapitalismus zurecht kommen. Herausgekommen ist - neben einer Grundsicherung für die Forscher - dass im Osten nach wie vor alles Scheiße ist, die jungen Leute abwandern und die Alten Hartz IV kriegen, weil es keine Arbeit gibt. Und jeder ist sich selbst der Nächste, was ja gewollt war und natürlich nach 20 Jahren Elend und Sozialabbau ein richtiges Wunder ist ! Die "Schweriner Volkszeitung" bekommt natürlich ihr Geld auch für markige Durchhalteparolen und so titelt sie folgerichtig: "Wittenberge im Umbruch". "Niedergang" würde es wohl besser treffen. Warum gibt es keine Arbeit ? Na, weil die Industrie in Wittenberge (und nicht nur dort) totgeschlagen wurde. Jetzt wird ein Leser aus Baden-Würstchenberg und Umgebung wieder wissen: Na klar, war ja sowieso alles marode in der DDR, ist ja kein Wunder. Tja, das Veritas-Nähmaschinenwerk in Wittenberge war - nur mal so nebenbei bemerkt- das modernste Nähmaschinenwerk in Europa und der Welt. Es wurde 1992 durch die Treuhandanstalt unter Birgit Breuel staatlich liquidiert. Auch das war kein Wunder, wie wir heute wissen. Seitdem geht es in Wittenberge bergab. Wußten wir vorher nicht, deshalb ist uns diese Erkenntnis auch das ganze Geld wert. Lösungsvorschläge natürlich keine, nur dieser Blick durch die soziologische Lupe auf uns Schaben da unten. Aber auch das ist eine Binsenweisheit.
- Auch die Demografen und -baronessen des Instituts für Demoskopie Allensbach haben unseren Hauptmann Binse bemüht. Sie brachten vorgestern dem interessierten Volk ihr zwölftes Jahrbuch dar und sprechen selbst in diesem Zusammenhang von einer "Erotik der Daten". Es ist zu befürchten, dass das Werk außer von das Merkel von niemanden sonst gelesen wird. Die Kanzlerin nannte das Buch einen "Schmöker", in dem sie "vieles Schöne" gefunden habe. Zum Beispiel die Frage, ob Deutschlands Frauen lieber Röcke oder Hosen tragen. Die Antwort laute: "58 Prozent der Frauen haben Hosen lieber, 16 Prozent Röcke und Kleider." Sie selbst, meinte Angela Merkel lächelnd, sei also keine Ausnahme. Das wollten wir natürlich schon immer gern wissen, haben uns aber nie getraut zu fragen. Ob die restlichen 26 Prozent der Frauen ständig "unten ohne" herumlaufen oder Säcke tragen, wurde anscheinend nicht geklärt. Ansonsten sind für die Bundeskanzlerin solche demografischen Befunde "ein Frühwarnsystem". Politiker, meinte Angela Merkel anlässlich der Buch-Vorstellung in Berlin, dürften sich jedoch nicht von Umfragen abhängig machen: "Was heute Minderheitenposition ist, kann morgen Mehrheitsposition sein." Wichtige politische Entscheidungen wie die Währungsreform, die Einführung der sozialen Marktwirtschaft, die deutsche Ostpolitik oder der Nato-Doppelbeschluss hätten anfangs keine Mehrheit gehabt. Zu diesen Themen hätten die Deutschen erst im Nachhinein ihre Haltung geändert. Auch der Euro wäre im Wahlvolk zunächst umstritten gewesen, sei aber jetzt allgemein akzeptiert. Wie meinen, Äntschie ? Die MS "Euro" hat gerade eben den Eisberg Griechenland gerammt und selbst wenn die Kapelle weiterspielt und das Leck abgedichtet wird, lauern nur 500 Meter weiter schon die Packeisfelder Portugal, Spanien und Italien und Du redest von Akzeptanz dieser Schwindelwährung ? Wie war das mit dem Heiligen Joseph, dem Stammvater aller Propagandaminister und Durchhalteparolen: Wenn eine Lüge nur oft genug wiederholt wird, wird sie irgendwann geglaubt. Insofern verwundert mich auch nicht mehr, dass ausgerechnet uns Äntschie von "sozialer" Marktwirtschaft schwafelt. Allerdings will das Merkel nun auch nicht den Eindruck erwecken, dass sie ihre politischen Entscheidungen von "der Demoskopie" abhängig macht. Die Geschichte habe gezeigt, dass die meisten wichtigen Entscheidungen zunächst "gegen die Mehrheit" durchgeboxt werden mussten. So halte sie es selbst auch, sagt Merkel: Weder die Rente mit 67, noch der Einsatz in Afghanistan, noch die Rettung der Banken seien als Einzelentscheidungen mehrheitsfähig. Würde sie danach gehen, müsste sie einen allgemeinen Mindestlohn einführen und die Atomkraftwerke sofort abschalten. Aber daran denkt sie natürlich nicht, meint die "Zeit" und damit hat sie leider Recht. Wozu also das ganze Gesabbel und Geschreibsel? Das Allensbach-Institut steht der CDU nahe und muss daher steuerfinanzierte Aufträge haben. So einfach ist das...
- Auch das Buddhistische Standesamt in Wiesbaden hat unseren Hauptmann Binse bemüht: Die Arbeitnehmer in Deutschland haben im vergangenen Jahr erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik weniger Geld verdient. Der durchschnittliche Bruttoverdienst sank im Jahr 2009 um 0,4 Prozent auf 27.648 Euro, wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch in Wiesbaden mitteilte. Nit möööööglich, hätte da der Clown Grock wieder einmal ausgerufen. Und wenn man nun noch gleich die Entwicklung der Nettolöhne untersucht hätte...
- Und last but not least der Bund der Steuerzahler: In zahlreichen Beschäftigungsverhältnissen gibt es nur wenig mehr oder sogar weniger Lohn als durch Hartz IV. Auch das konnten wir uns ja - nach dem Anstieg der Ein-Euro-Jobs, den "Aufstockern" und den fehlenden Mindestlöhnen- nun gar nicht vorstellen...
Bild: S. Hofschlaeger, www.pixelio.de
Sehr geehrter Herr Dr. Valentin,
AntwortenLöschenGestatten Sie mir diesen Lob: Ihren heutigen Beitrag erinnert mich stilistisch an F.C. Weiskopf, Meister des tschechischen Geistreichtums in deutscher Sprache, einer meiner Lieblingsschriftstellern. Man kann mit seinen Buchtiteln ironisieren: „Umsteigen ins 21.Jahrhundert“ (Berlin 1927), „Der Staat ohne Arbeitslose“ (1931 zusammen mit. E. Gläser und Alfred Kurella) und „Elend und Größe unserer Tage“ (1950).
Einfach empörend, was die reaktionären neudeutschen Autoritäten sich so schamlos erlauben können! Eine solche Beleidigung und Mißhandlung der Arbeitslosen würde in Belgien zur Fanal der sozialistischen Revolution sein, zumindest aber starke soziale Unruhen auslocken! Auch wenn wir hier, wie im ganzen EWG Raum, seit Einführung des Euros fühlbar verarmen, habe ich es hier in meine ‚flämische Sommerfrische’ noch goldig in Vergleich zu was Sie so wahrheitsgemäß anklagen.
Freundschaftlich,
Nadja NORDEN
DDR Bürgerin in Flandern