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Montag, 29. Januar 2007

Neulich in Bayern


Neulich waren wir mal eine Woche in Bayern. Wir hatten eine wunderschöne Ferienwohnung, es lag zwar kein Schnee, aber dafür waren die Wanderwege alle frei und der dicke Willi-Hund (umgerechnetes Alter: 77 Jahre) zog uns wie einst Louis Trencker die Berge hoch. Mann, und die Germknödel!!! Ich wollte eigentlich mal in einen reinsteigen, habe ihn dann aber doch lieber von außen aufgegessen.
Wir genossen das schöne Wetter und schliefen morgens auch mal etwas länger. Dadurch kamen wir in den Genuss des öffentlich-rechtlichen Vormittagsfernsehens. Und es war wirklich ein Genuss: Was dort von unseren nicht zu knappen Fernsehgebühren produziert wurde, spottete jeder Beschreibung! Vor allem stellten wir fest, dass sämtliche Moderatoren, Redakteure, Studiogäste usw. offensichtlich einen Apothekerschrank als Gehirn haben. Das sind diese Schränke mit den vielen kleinen Schubladen. Nur ein willkürlich herausgegriffenes Beispiel ist die Sendung "Volle Kanne" im ZDF :
1. Thema Klimaerwärmung (Schublade auf, Klimaerwärmung raus, eine halbe Stunde vor einer Wetterkarte herumgehampelt, allen Leuten die Klimaerwärmung aufs eindringlichste nahe gelegt, natürlich sind wir alle ganz allein daran schuld und wir sollen uns schuldig fühlen, K. wieder in die Schublade und zu);
2. Thema Fernsehkoch (Zutaten sind frische grüne Bohnen, im Januar natürlich aus Kenia, keinerlei Zusammenhang zu Thema Nummer eins, Schublade Kochen wieder zu);
3. Thema : Ein so genannter Schauspieler schildert die Dreharbeiten mit einem Schimpansen, das arme Tier muss neben unsäglichen Klamotten ständig Pampers tragen, weil es eben nie stubenrein ist, man macht sich darüber lustig, weder Pampersproduktion noch diese Art von blöden Filmen oder gar der arme Affe und sein Mißbrauch haben irgendetwas mit der Klimaerwärmung zu tun, Schublade wieder zu ! Gleichzeitig erzählt der Schauspieler, dass er jetzt einen Flugschein hat und deshalb in der Lage ist, jederzeit mal schnell irgendwohin zu fliegen. Natürlich keinerlei Zusammenhang mit der Klimaerwärmung! Schublade wieder zu !
4. Thema : Eine außerordentlich engagierte Jung-Designerin kommt von einer Messe in Frankfurt am Main und erzählt uns, dass wir uns alle zwei Jahre mit neuen Tapeten und Vorhängen eindecken müssten. Natürlich keinerlei Zusammenhang mit der Klimaerwärmung! Schublade wieder zu !
Nach spätestens 5 Minuten stellt sich mir die Frage nach dem Zusammenhang Wirtschafts wachstum - Globalisierung - Konsumdenken- Kapitalismus - Klimaerwärmung, da ja meine Gehirnsegmente miteinander vernetzt sind. Bei den verantwortlichen Programmmachern scheint das nicht so zu sein.

Freitag, 26. Januar 2007

Ein netter Bursche



Das ist Jörg Schönbohm. Unglücklicherweise mal in Brandenburg geboren und - da ihn die Berliner nicht als Innensenator wollten- hat er daraus für sich die Legitimation bezogen, die Brandenburger zu beglücken. So schlagen wir uns seit Jahren mit ihm herum. Jetzt will er endlich nicht ganz freiwillig mit 69 Jahren in den Ruhestand und seine Familie zur Räson bringen.
Die Armen ! Aber warum soll es denen besser gehen als einem ganzen Bundesland ? Der Gute hatte die letzte Kommunalwahl für die CDU völlig vergeigt, seitdem sägten viele an seinem Stuhl und zwei haben sich bis aufs Messer und mit den unfairsten Mitteln um seine Nachfolge gestritten. Gottseidank, der Despot geht und fast niemand weint ihm eine Träne nach.
Es wird Zeit, einen Blick zurück auf die Bilanz des Generalissimus Schönbohm als Innenminister des Landes Brandenburg zu richten und diese Bilanz unterscheidet sich in der Realität ganz gewaltig von den Lobhudeleien im Nachruf der Angela Merkel. Unter einem schwachen Ministerpräsidenten durfte er fast alle seine genialen Ideen verwirklichen und den "pöbelhaften, verwahrlosten" (Zitat zusammengefaßt aus unzähligen unseligen Äußerungen des Innenministers Schönbohm) Ureinwohnern die Segnungen der westlichen Innenpolitik nahe bringen. Was hat dieser Mensch nicht alles angerichtet :
  • die Gemeindegebiets"reform" war von niemanden außer Schönbohm gewollt oder gefordert worden. Für den Bürger brachte sie nach den Zwangseingemeindungen keinerlei Vorteile, führte vor allem zu noch längeren Wegen und zu noch mehr Steuern, Abgaben, Beiträgen und sonstigen Zahlungen. Für die Verwaltungen ergaben sich noch mehr Konfusion, Desorganisation und Bürgerferne. Dringende Investionsvorhaben, wie z.B. Abwasseranschlüsse oder Straßenbau wurden gestoppt, weil sich die Verwaltungen erst neu sortieren mussten und damit teilweise bis heute noch nicht fertig sind. Entscheidungsfindungen auf kommunaler Ebene sind noch undurchschaubarer und damit undemokratischer geworden und führen für den Bürger noch seltener zu Verbesserungen seiner Lebensqualität. Kosteneinsparungen, z.B. durch Zentralisierung der Verwaltung, sind nicht bekannt geworden. Nach wie vor leisten wir uns eine Vielzahl nicht entscheidungsbefugter, aber bezahlter Ortsteilbürgermeister. Die übrigen Dorffürsten, z.B. alle möglichen Parteifuzzies, wurden größtenteils in irgendwelchen Gremien versorgt. Die letzten Klagen gegen diese Zwangseingemeindungen wurden erst im vergangenenJahr beendet.
  • der Neubau der Polizeischule in Oranienburg - nicht vergessen, es gab schon eine funktionierende Polizeischule in Basdorf - wurde außerordentlich sensibel und geschmackvoll auf dem ehemaligen SS-Gelände des KZ Sachsenhausen errichtet. Millionen mussten nur dafür ausgegeben werden, damit der Besucher der Gedenkstätte von der Schule nichts merkt und von dem Geknalle des Schießstandes oder vom Gebell bei der Hundeausbildung nicht irritiert wird oder gar an eine Neuauflage des KZ denkt... Nun waren ja deutsche Generäle nie besonders einfühlsam und lernten - wenn überhaupt - nur mühsam aus der Geschichte, aber das war mit Abstand die größte Meisterleistung unseres Generalissimus. Jetzt hat sogar der Barnimer Landrat gemerkt, dass Gelände und Gebäude der ehemals dort gut funktionierenden Polizeischule in Basdorf seit Jahren vor sich hin gammeln und nicht vermarktet werden können. Wen wundert's ?
  • der Schießbefehl, den er vor ca. 3 Jahren an seine gebeutelten Polizisten erliess, wurde von diesen stillschweigend ad acta gelegt. Hatte er sich zu sehr an Texas oder seinem Vorbild Schorsch Dabbel Ju orientiert ?
  • sein Polizeigesetz -gerade eben durch den Brandenburger Landtag gepeitscht- ist d a s schärfste überhaupt in der BRD und natürlich im verschlafenden Brandenburg absolut sinnvoll. Natürlich hat das Innenministerium aber vorher die Anzahl der Polizisten auf ein kaum noch vertretbares Maß heruntergeschraubt - dem Vernehmen nach soll nachts für 2 Landkreise nur noch ein Streifenwagen zur Verfügung stehen - und ihnen vor allem erstmal kräftig das Salär gekürzt.
  • die wenigen Polizisten setzt Schönbohm dann aber auch richtig ein: Wenn man den Aussagen der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Brandenburg glauben darf, sind Polizisten in Brandenburg angehalten, eine Knöllchen-Quote zu erfüllen. "Da wird ein extremer Druck auf die Beamten ausgeübt", sagt Gewerkschaftssekretär Michael Peckmann. In einer Zielvereinbarung zwischen Innenministerium und Polizei sei vereinbart worden, welches Bußgeldsoll jeder Schutzbereich zu erfüllen habe – und das werde dann bis auf den einzelnen Beamten runtergerechnet. Wer das Soll nicht erfüllt, stehe am Monatsende "schlecht da". "Bei einer Beurteilung kann sich das negativ bemerkbar machen", so Peckmann. Demnach habe beispielsweise ein "Verwarner" im Schutzbereich Havelland pro Monat 175 Euro Bargeld einzunehmen. " Zur Begründung wird immer mal wieder die Unfallquote angeführt, die sich aber trotz seit Jahren erhöhtem "Verfolgungsdruck" (O-Ton Schönbohm) nicht wesentlich nach unten bewegt hat. Zur Klarstellung: Man verfolgt und kriminalisiert hier harmlose Bürger, meist noch nie straffällig geworden, die ihren täglichen Geschäften nachgehen. Man erwischt sie dann natürlich auch meist morgens oder abends im Berufsverkehr an den ungefährlichsten, aber gut einzusehenden Stellen. Das bringt Geld und ist auch nicht anstrengend oder gar gefährlich. Denn nachts, wenn die schlimmen Dinge wie Drogen-oder Alkoholfahrten, Wettrennen usw. abgehen, schläft auch der Schönbohmsche Beamte oder traut sich nicht raus vor die Disko. Dass die Einsicht der Kraftfahrer bei so einer offensichtlichen Abzocke gegen Null strebt, dürfte selbst dem größten Dödel klar sein. Schönbohm macht aber auch hier eine Ausnahme.
  • seine Äußerungen über die Brandenburger Bürger (siehe oben) sind Legion und allgemein bekannt. Sie dürften seinen Ruf in der Bevölkerung außer bei chronischen Masochisten oder Wessis endgültig ruiniert haben.
Dass ihm seine eigenen, von ihm zunächst hoch gezüchteten und dann in Schimpf und Schande fortgejagten Kreaturen wie der gerade entlassene üble und anrüchige Petke und dessen Konsorten jetzt ins Gesicht spucken - wen wundert es noch bei diesem Lehrmeister ? Er hinterläßt eine zutiefst desolate Partei, die hoffentlich Jahre brauchen wird, um sich von diesem großen Vorsitzenden zu erholen. (Frage: Brauchen wir überhaupt eine CDU, wenn wir schon eine rechtskonservative und unsoziale SPD haben ?)

Viele Brandenburger - wenn nicht die meisten - werden Herrn General Schönbohm jedenfalls mit Freuden den Ausspruch Oliver Cromwells an das englische Lange Parlament (1653) hinterherrufen:

" Für das wenige Gute, dass Ihr getan, sitzt Ihr schon allzu lange hier. Fort mit Euch, sage ich, wir wollen mit Euch nichts mehr zu tun haben. Um Gottes willen, geht!"

Dienstag, 23. Januar 2007

Warum rege ich mich immer wieder auf ?


Es gibt noch mehr solcher Idioten wie mich:
"Vernünftige Menschen passen sich der Welt an; die unvernünftigen versuchen, sie zu verändern.
Deshalb hängt aller Fortschritt von den unvernünftigen ab"


... und diesen schönen Satz sagte George Bernard Shaw (1856 bis 1950), Nobelpreisträger für Literatur 1923 - Bild siehe oben

Berliner Hauptbahnhof und andere große Taten


Michael stellte neulich die Behauptung auf, dass der Chef der Deutschen Bahn AG ein dunkles Geheimnis über irgendein hohes Tier in dieser Republik wissen müsse. Jeder andere - vor allem aber jedes kleine Licht - wäre für vergleichbare Fehlleistungen schon in die Wüste geschickt worden. Vielleicht kennt Mehdorn ja die Spender des Herrn Kohl ?
Ich halte mich an Jaroslav Hasek, anders als mit dessen Fatalität ist dieses Deutschland, vor allem aber seine selbsternannten politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen (geistig lasse ich mal weg, denn die existiert ja nicht mal als Negation ihrer selbst) Eliten, nicht zu ertragen:
"Jeder kann nicht gescheit sein, Herr Oberlajtnat", sagte Schweijk überzeugend, " die Dummen müssen eine Ausnahme machen, weil, wenn jeder gescheit wäre, so wäre auf der Welt so viel Verstand, dass jeder zweite Mensch davon ganz blöd wär... "

Folgt man dieser Logik, sitzen unsere klügsten Köpfe im Bundestag, oder ?

Montag, 22. Januar 2007

Über einige Davongekommene

Als der Mensch
Unter den Trümmern
seines
bombardierten Hauses
hervorgezogen wurde,
schüttelte er sich
und sagte:
Nie wieder.

Jedenfalls nicht gleich.





aus: Günter Kunert, "Notizen in Kreide" , Verlag Phillipp Reclam jun. , Leipzig 1970

Das Bild zeigt eine britische 10-Zentner-Bombe, die 60 Jahre nach dem II. Weltkrieg voll funktionsfähig ausgegraben wurde.

Freitag, 19. Januar 2007

... und abends starb dann auch noch Violetta!


Vierter Januar 2007. Um 7:00 Uhr Start nach G. , da um 10:00 Uhr schon wieder eine Beerdigung eines Verwandten aus dem weiten Familienkreis meiner lieben M. ansteht. Wir schaffen den Termin im strömenden Regen ohne Anstrengung - was auf dieser Autobahn nicht so selbstverständlich ist (siehe unten). Unerträglich, trotzdem macht man immer wieder mit, ist das sogenannte "Fellversaufen" im Anschluß an eine Trauerfeier. (Wir haben neulich im Bekanntenkreis mal drüber gesprochen-die Meinungen gingen von völliger Ablehnung bis hin zu euphorischerZustimmung, Marion meinte sogar, man solle mit ihrer Leich' zusammen 3 Tage hintereinander fröhlich feiern, na ja, eigentlich feten wir lieber mit der lebendigen Marion) Also, auch hier in G. können wir uns nicht entziehen, es ist dann auch anfangs etwas traurig, aber bald geht man zu Tagesthemen über und lacht auch mal. Schade, Günter als der unmittelbar Betroffene hört's nicht mehr, denn sicher hätte er in seiner ruhigen und bedächtigen Art auch etwas dazu zu sagen gehabt.
Es regnet.
Um 1/2 1 Uhr dann Termin bei Opa P.'s Bank, Konto auflösen mit allen Miterben. Um 1/2 2 Uhr auf die Autobahn nach Berlin. Und hier trifft es uns dann doch: Ab Abfahrt Plau ist die A 19 voll gesperrt wegen einer Ölspur. Endlose Umleitung über verschlafende mecklenburgische und dann preußische Dörfer, bis wir endlich wieder auf die Berliner Autobahn geleitet werden.
Es regnet, die Scheibenwischer gehen hin und her, hin und her, hin und her, hin und her.
Um 4 zu Hause, den Hund Willy geschnappt und eine Stunde bewegt.
Die ganze Zeit Regen.
Klaus ruft an, ob wir - wenn wir doch schon in G. sind - seine Tochter mit zum Flughafen Berlin- Tegel nehmen können, zu spät, wir sind schon weg, er muss sie leider allein bringen. Das weiße Hemd gewechselt, in den Anzug gestiegen, nach Berlin gefahren, noch etwas Zeit vor Beginn der Aufführung in der Staatsoper, die Karten hatten wir uns zu Weihnachten geschenkt.
Es regnet nicht mehr so richtig.
Dann die Dekoration von "La Traviata": Man hat eine Art Gazevorhang vor die Bühne gespannt, auf den ununterbrochen perlende Regentropfen projeziert werden. Schöööööön ! Nur die Scheibenwischer fehlen !
Und gegen 22:30 Uhr starb dann auch noch Violetta.

Mittwoch, 3. Januar 2007

Die Preußenmadonna - Teil 2

Folgender Leserbrief erschien in der "FAZ" vom 20. November 2003. In Zeiten eines fragwürdigen, ständig durch die große Koalition propagierten "Aufschwungs" - vor allem natürlich bei Steuern, Abgaben, Beiträgen, Zuzahlungen, Gebühren, ausge"sourcten" und damit nicht mehr gezählten Arbeitslosen, Spionagesatelliten der Bundeswehr sowie von deren Auslandseinsätzen, aber besonders in diesen Zeiten wahrhaft goebbelscher Volksverarschung und gleichzeitig steigender Aggressivität nach außen sollten wir uns wirklich öfter an die Lehren der deutschen Geschichte erinnern. Vor allem, wohin das alles mal geführt hat.

,, Die Preußenmadonna" - FAZ vom Donnerstag, dem 6. November 2003

Vielen herzlichen Dank an Ihren Autor Philipp Demant für diesen sachlichen, einfühlsamen, in seinem Grundtenor durchaus auch kritischen, alles in allem Mut machenden und wichtigen Beitrag über die Königin Luise von Preußen.

Warum macht dieser Artikel Mut? Preußen war 1810 „ auf dem Höhepunkt der wirtschaftlichen und moralischen Misere Die Niederlage Preußens gegen einen imperialistischen Napoleon seine fortschrittliche Rolle in der Geschichte hatte er damals längst verloren hat sich 193 Jahre später auf bestürzende Weise als eine Niederlage Deutschlands im Prozess der Globalisierung wiederholt. Wieder sind gravierende Missstände zu Tage getreten. Die Arbeitslosenzahlen steigen und steigen, die Regierung ist schwerfällig bis unfähig, die Organisation des Staates ist aufgebläht und seine Gremien sind vielfach veraltet, der Staat ist hoch verschuldet und verschuldet sich immer weiter, die Opposition weiß auch nicht mehr, Kommissionen mit hoch bezahlten Mitgliedern tagen monatelang und haben anschließend nur eine Schlussfolgerung für den durch die hohen Steuern sowieso schon gebeutelten Bürger: Mehr Sozialabgaben und schnellerer Sozialabbau. Das wird es richten. Wirklich ?

Das Jahr 1810 als Tiefpunkt der preußischen Geschichte? Erinnern wir uns weiter: Im Jahre 1810 wurde erstaunlicherweise die Berliner Universität gegründet. Nicht nur die Humboldts arbeiteten dort. Man berief bedeutende Wissenschaftler - vor allem aus den anderen deutschen Ländern - nach Preußen, nach Berlin. Einer dieser Gelehrten, Albrecht Daniel Thaer, hat für uns heute noch eine besondere Bedeutung. Thaer lernte als kurfürstlicher Hofarzt in Celle das armselige Leben der Landbevölkerung kennen und wurde schon dort durch die auf seinem Hof erprobte Fruchtwechselwirtschaft bekannt. Der preußische König berief ihn im Jahre 1806 in preußische Dienste. Auf dem Gut Möglin im Oderbruch gründete Thaer die erste landwirtschaftliche Akademie - die Königlich Preußische akademische Lehranstalt des Landbaues. Von 1810 bis 1819 war Thaer Professor an der Universität Berlin - der heutigen Humboldt-Universität zu Berlin. Sein Denkmal steht noch im Innenhof der landwirtschaftlich­gärtnerischen Fakultät der Humboldt-Universität in der Invalidenstraße 42. Thaer entwickelte, die Landwirtschaftslehre zu einer systematischen Wissenschaft und machte sich um, die Anwendung der Naturwissenschaften in der Landwirtschaft verdient. Aus seinen Denkansätzen entstand auch die moderne Lebensmittelforschung. Er hat damit wesentlich dazu beigetragen, dass sich heute zumindest in unseren Breiten (fast) jeder satt essen kann. Damit schließt sich der Kreis zu den heutigen (Krisen-) Zeiten.

Was passiert heute? Während Menschen wie vom Stein, Hardenberg, die Humboldts, Thaer und mit ihnen Luise von Preußen des Jahres 1810 für einen Aufbruch des Landes in das moderne, bürgerliche 19. Jahrhundert stehen, sehen unsere heutigen Politiker im Rückschritt das Allheilmittel. Es geht nicht in das 21. Jahrhundert, zu mehr Selbstbestimmung, zu mehr Wohlstand für alle, zu mehr Aufgeklärtheit und Unabhängigkeit von den Religionen, zu mehr bürgerlichen Freiheiten, zu mehr Gleichberechtigung der Geschlechter, zu mehr sozialer Marktwirtschaft. Es geht zurück zur 60-Stundenwoche, zu den Mietskasernen, zu bettelnden Rentnern, zur Hausfrau am Herd und in der Kirche ( weil die Frauen Männern die Arbeit wegnehmen ), zur Bildung nur für Reiche (die Berliner Universitäten werden kaputt gespart und Thaers Fakultät soll gleich ganz geschlossen werden), zur schlechten, aber teuren medizinischen Versorgung, zu noch mehr teuren Abenteuern der Bundeswehr in allen Ecken und Enden der Welt, zu den Szenen, die man von Heinrich Zilles Zeichnungen her kennt. Sicherlich ist Deutschland von diesen Szenarien noch weit entfernt, aber der Anfang wurde im Deutschen Bundestag nicht erst mit der Abstimmung zum so genannten Renten" Not"-Programm gemacht. Und die. unsäglichen Diskussionen unserer selbst ernannten „Experten" `gehen weiter...

Wo ist die Lichtgestalt, um die sich diese Nation scharen kann ? Die einfache Antwort lautet: Die ist nicht da. Ein Aufbruch wie 1810 ist nicht in Sicht. Es gibt keine neue Luise von Preußen. Es bleibt uns allen also nichts weiter übrig, als uns am eigenen Schopf aus dem Dreck zu ziehen, um die materiellen und ideellen Errungenschaften zu kämpfen, die frühere Generationen und die Menschen, denen man heute mit schäbigen Argumenten die Rente kürzt,, für uns hinterlassen haben.

Und: Denken wir ab und zu an die Geschichte.

Autor: Dr. Frank Valentin, Bernau bei Berlin

Dienstag, 2. Januar 2007

Die Preußenmadonna



Von Philipp Demandt

Im Juli 1810 starb Luise, die Königin von Preußen. Vier Jahre zuvor war das Land Napoleon unterlegen, auf dem Höhepunkt der wirtschaftlichen und moralischen Misere verlor Preußen die schöne Landesmutter, die heldenhafte Lichtgestalt. Doch kein Tod ohne Leben: Im Mythos wurde Luise wiedergeboren, wurde zur Losung in den Befreiungskriegen, wurde zur Mutter der deutschen Nation


Ich bin wie vom Blitz getroffen", schrieb General Blücher auf die Todesnachricht und setzte resigniert hinzu: „Es ist doch unmöglich, dass einen Staat soviel aufeinander folgendes Unglück treffen kann." Längst nämlich wähnten sich die Preußen auf dem Tiefpunkt ihrer Geschichte. Der frühe Tod der Königin Luise im Juli 1810 belehrte sie eines Besseren. Die Niederlage gegen Napoleon 1806, die überstürzte Flucht der Königsfamilie nach Ostpreußen und das Friedensdiktat von Tilsit hatten das Land schwer getroffen. Preußen verlor die Hälfte seines Staatsgebietes wie seiner Bewohner, tagelang hing seine Existenz als souveräner Staat am seidenen Faden.
Als die Hoffnung auf einen milden Frie­den schwand, ließ sich die Königin zu ei­nem Bittgang zu Napoleon überreden. Da­bei war der Hass der beiden aufeinander le­gendär: Eine „blutrünstige Amazone" hat­te der Korse seine „größte Feindin" öffent­lich genannt. Und diese sparte nicht mit Wi­derworten: Bonaparte, der „sich aus dem Kot emporgeschwungen" hatte, war der „Teufel in Menschengestalt". Zwar änder­ten beide ihre Meinung, als sie sich in Tilsit gegenüberstanden - sie bewunderte sein Cäsarenhaupt, er nannte sie eine Frau „von Geist und Haltung" -, dennoch fanden die Bitten der Königin kein Gehör.

Das Gespräch endete jäh, als Friedrich Wilhelm III. in das Zimmer stürmte; zu lan­ge war seine Frau mit Preußens Erzfeind schon allein gewesen. „Der König kam zur rechten Zeit", erzählte Napoleon nachher. „Wäre er eine Viertelstunde später herein­gekommen, so hätte ich der Königin alles versprochen." Friedrich Wilhelm ging als Trottel in die Geschichte ein. Seine Frau hingegen wurde zur Symbolfigur des deut­schen Durchhaltewillens noch im Ange­sicht der größten Schmach. Als solche soll­te sie noch Joseph Goebbels im Jahr 1945 vor das Volk treten lassen.

Seit ihrer Ankunft in Berlin 1793 war die schöne Mecklenburgerin enorm beliebt. Vor allem die Männerwelt lag ihr zu Fü­ssen. Dichter wie Diplomaten berauschten sich an ihrem Anblick, und bei Staatsban­ketten wurde Luise mitunter so unnachsich­tig angestarrt, dass ihr der Appetit verging. Schuld daran war aber nicht zuletzt sie selbst, ging sie doch in der „griechischen Mode" voran: Weit ausgeschnittene, hauch­dünne Gewänder, die den „vollen Spiel­raum der Bewunderung" ermöglichten, machten sie zur erotischen Idealgestalt ih­rer Epoche. Wenngleich manche Zeitgenos­sen die Stirn in Falten legten: „Ich kann nicht begreifen, wie der König seiner koket­ten Frau erlauben kann, sich so anzuzie­hen", schrieb etwa die Gräfin Brühl. Deutli­chere Worte fand 1929 Marie von Bunsen in Erinnerung an die wilhelminische Ära: „So hüllenlos wie Königin Luise, das hätten in meiner Zeit nur Kokotten getan."

Luises Volksnähe, ihr ungekünsteltes Verhalten und ihre für den Adel ungewöhn­liche Liebesheirat hatten ihr die Sympa­thien des Bürgertums gebracht, das seine Lebensweise in ihr verkörpert glaubte. Wie anders sah dagegen das Leben am Hof des Schwiegervaters aus, Friedrich Wilhelms II., des „dicken Lüderjahns", wie ihn der Volksmund nannte. „Ganz Potsdam war wie ein Bordell", erinnerte sich der Bild­hauer Schadow. Die Verklärung der jungen Königin, 1797 auf den Thron gestiegen, besaß darum von Anfang äh politische Bedeu­tung. Luise wurde zum Inbegriff der „neu­en Frau", der treuen, häuslichen und zärtli­chen Mutter, was ihre Rolle als Mittlerin zwischen Bürgertum und Krone noch stärk­te. Jede Frau und Mutter solle ein Bild der Königin in ihrem Zimmer haben, begeister­te sich Novalis, und die Schriftstellerin Ma­ria Mnioch hoffte, solche „Madonnenbil­der" könnten die „blöden Gemüter" des Adels heilen. So war es vor allem die Le­bensweise, die das Königspaar zur politi­schen Führung legitimierte. Ein Herrscher­paar, das nach den Maximen des Bürger­tums lebte, konnte diesem kein Gegner im Kampf um Freiheit und politische Rechte sein, sondern wies in eine gemeinsame, bür­gerliche Zukunft.

Wie so oft aber war das Wunschdenken mächtiger als die Wirklichkeit. Vergessen war, dass Luise zur Verschwendung neigte und Friedrich Wilhelm nur den Bürger mimte, weil ihm seine Königswürde eine Bürde war. Was machte es, dass König und Königin im absolutistischen Denken gefan­gen blieben, die zelebrierte Natürlichkeit im Zeitalter der Empfindsamkeit auch eine Bewegung des Adels war und Luise von Eingeweihten zwiespältig beurteilt wurde? „Sie ist keine edle Frau", schrieb der Frei­herr vom Stein. Er fand sie oberflächlich und gefallsüchtig, während Gneisenau sie auch in ihrer Rolle als Mutter „nicht ach­tungswürdig" nannte. „Selbst ihr Herz war ihrem Gemahl nicht immer zugewandt", schrieb der Feldmarschall, schließlich war die Vernarrtheit der Königin in den russi­schen Zaren am Hof bekannt. Kritik wie diese aber blieb der Öffentlichkeit verbor­gen und konnte darum das ideale Bild der Königin nicht trüben. Ihre Kinder dankten ihr die zwanglose Erziehung mit inniger Liebe. Und während Frankreich unter den Nachwehen der Revolution zu leiden hatte, verkörperte Luise in Preußen die Hoffnung auf Erneuerung der Monarchie auf gewalt­losem Wege.

Die Königin wurde um so wichtiger, als sich nach 1806 das Bedürfnis nach einer mo­ralischen Instanz ganz und gar auf sie richte­te. Die Niederlage gegen Napoleon hatte zahlreiche Missstände offenbart: Die Orga­nisation des Militärs war veraltet, die Bin­dung des Volkes an den Staat gering, die Kabinettsregierung schwerfällig und der König unfähig, den Problemen seiner Zeit angemessen zu begegnen. Während sich Friedrich Wilhelm mit dem Gedanken trug, auf den Thron zu verzichten, zeigte sei­ne Gattin Pragmatismus. „Man sieht sie ei­nen wahrhaft königlichen Charakter entwickeln", schrieb Heinrich von Kleist. Histo­risch korrekt setzte Theodor. Mommsen 1876 hinzu, Luise habe wie viele Frauen im Unglück eine Stärke offenbart, die Männer für gewöhnlich in der Not verlören.

Zwei Männer hielten jedoch der Bela­stung stand, Männer, auf die Luise große Hoffnung setzte: die Staatsreformer Stein und Hardenberg, die das Fundament des modernen Preußens legten. Während sich Stein durch seine schroffe Art die Königin im Lauf der Zeit zur Feindin machte, konn­te Hardenberg auf ihre beständige Unter­stützung zählen. Seine Berufung zum Staatskanzler 1810 war Luises Werk. Zahl­reiche Neuerungen wie die allgemeine Wehrpflicht und die Gewerbefreiheit, die Emanzipation der Juden, die Befreiung der Bauern und die Städteordnung sollten die Identifikation der Bürger mit den Belan­gen des Staates stärken. Das revolutionäre Frankreich hatte als Vorbild gezeigt, wel­che Kräfte eine von Verfassung und Zivilge­setzbuch geschützte Nation besaß, und zu­gleich als Feindbild ein neues Gemein­schaftsgefühl im Kampf gegen die Besatzer erzeugt. Nun galt es, die Errungenschaften der Revolution zu verwirklichen, ohne den absoluten Machtanspruch' der preußischen Monarchie zu schmälern.

All das war um so dringlicher, als „Nation" und ,Vaterland" zu Lo­sungsworten der Besatzungszeit ge­worden waren. Überall im Land wurden Tugendbünde gegründet, um die patrioti­sche Gesinnung zu stärken. Der moderne Nationalismus war entstanden, aufgeklärt und idealistisch auf der einen Seite, hasser­füllt und aggressiv auf der anderen, in bei­dem jedoch ein Appell an Deutschlands Bürger, ihr politisches Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Hatte Hegel 1802 noch die „politische Nullität" des bürgerli­chen Standes gerügt, so gründeten Bürger nun soziale Stiftungen, von denen einige Luises Namen trugen.

Die „Geburt der deutschen Nation" heißt diese Zeit in den Geschichtsbüchern, eine Zeit, die das Bild des Staatsbürgers bis heute prägt, eine Zeit, in der die Königin von Preußen plötz­lich stirbt.

Luises Tod am 19. Juli 1810 war für Preußen ein Schock. Auf dem Tiefpunkt der wirtschaftlichen und moralischen Misere stirbt die einzige Lichtgestalt, erst Monate zuvor aus dem Exil zurückgekehrt. Schreckliche Szenen spielten sich an ihrem Sterbela­ger ab. Der König, die beiden ältesten Söh­ne, die Schwester Friederike, der Vater und sogar die Großmutter waren zugegen, als Luise im Schloss von Hohenzieritz, dem Landsitz ihres Vaters, nach tagelangem To­deskampf einem Lungenleiden erlag, 34 Jahre alt. „Sie ist mein Alles!" hatte ihr Mann zuvor geschrieben. „Wenn wir nur beisammen bleiben, dann ergehe über uns was Gottes Wille ist. Amen! Amen! Amen!" Als ihn die Ärzte drängten, ihr die Nachricht von der Unausweichlichkeit des nahen Todes zu überbringen, und er dar­über die Fassung verlor, war sie es, die ihn stützte. Es könne nicht Gottes Wille sein, dass sie von ihm gehe, sagte Friedrich Wil­helm zu ihr am Sterbebett, da doch nur sie sein Freund auf Erden sei. „Und Harden­berg", fiel Luise ihm ins Wort. Sie wahrte Haltung bis zum Ende.

Wenige Wochen später warfen die Druckerpressen das erste Bild der Sterbeszene aus. Die Darstellung bediente das Verlan­gen nach einem Mythos, denn sie entsprach der bürgerlichen Vorstellung vom schönen Tod: Abschied nehmend von der Familie, die Kinder segnend, starb die Königin den Tod der tugendhaften Christin. Ihrem „bürgerlichen" Leben folgte ein ebensolcher Tod.

Als der Leichenzug Berlin erreichte, wur­de er am Brandenburger Tor von einer ge­waltigen Menge empfangen. Es herrschte eine Stille, „die man sich kaum vorstellt", berichtete Wilhelm von Humboldt. Zum großen Bedauern des Publikums aber hatte die Sommerhitze dem Leichnam so zuge­setzt, dass man ihn nicht mehr zeigen konn­te. Dennoch gab es im Stadtschloss die Gele­genheit, drei Tage lang an dem Sarg vorbei­zudefilieren.

Mythen sollen historischen Ereignissen Sinn verleihen, und es dauerte nur Tage, bis die kollektive Suche nach einem Sinn in Luises Tragödie am Ziel war: „Man hör­te aus dem Munde sonst ruhiger Bürger die fürchterlichsten Verwünschungen ge­gen den verhassten Usurpator ausstoßen, der mit kaltem Hohn das Herz der Köni­gin zum Tode verwundet hatte", schrieb die „Vossische Zeitung" später. Als be­kannt wurde, dass die Obduktion einen or­ganischen Herzfehler zutage gebracht hat­te, war der Beweis dafür erbracht, was je­des preußische Schulkind bis 1945 lernen sollte: dass die Königin Luise am gebroche­nen Herzen gestorben war, aus Gram über ihr geschundenes Vaterland. Das Wissen von der Gefährdung ihrer Gesundheit nach zehn Schwangerschaften binnen anderthalb Jahrzehnten wich dem Glauben an ihren Märtyrertod. Die mehr als ein Jahrhundert währende Erbfeindschaft mit Frankreich war besiegelt und das für den Nationalismus grundlegende Feindbild ausgemacht, definierten sich doch nahezu alle europäischen Nationen des 19. Jahr­hunderts durch den Gegensatz zu ihren Nachbarn. „Louise sei das Losungswort zur Rache!" rief Theodor Körner, der Hel­dendichter der Befreiungskriege, und so war und blieb der Tod der Königin „ein Mord, begangen durch die französische Nation", wie man noch 1892 bei Hermann Maertens lesen konnte: „Ihn zu rächen wurde unserer Nation zur heiligen Pflicht. Diese Anschauung ist bis heute eine Erb­schaft Preußens geblieben."

Die deutschnationale Sammlung um die Bahre der „echt deutschen Frau" entsprach jedoch nur bedingt den Interessen der preußischen Monarchie. Zu oft vernahm man den Ruf nach dem „Schutzgeist deutscher Sache", als welcher Luise weiterlebte. In der offiziellen Verlautbarung auf ihren Tod mahnte denn auch der Hofprediger Sack das Volk zur bedingungslosen Treue zum vereinsamten Preußenkönig und versicher­te, dass es nur natürlich sei, wenn sich nach dem Tod der Landesmutter die Hinterblie­benen dem „doppelt teuren Vater" an­schlössen. Die tote Königin wurde zur poli­tischen Herrschaftsressource. Und in der Tat gab der scheue, linkische König in der Realität wie in der Phantasie der Menschen ein so erschütterndes Bild ab, dass er dem Volk sympathisch wurde. Er war der „trau­ernde Ritter, der seine verlorne Geliebte nimmer vergessen konnte", schrieb Ernst Moritz Arndt, der im Witwer ein poeti­sches Ideal erblickte. „Auf Poesie ist die Si­cherheit der Throne gegründet", erklärte Gneisenau 1811 dem König. Drei Jahrzehn­te später schrieb Edgar Allan Poe: „Der Tod einer schönen Frau ist ohne Zweifel das poetischste Thema der Welt." Als 1813 die Befreiungskriege begannen, stiftete Friedrich Wilhelm am Ge­burtstag seiner verstorbenen Frau ihr zu Ehren einen Kriegsorden. Er wurde erst­mals unabhängig von Stand und Rang ver­liehen und ist noch heute das Hoheitsab­zeichen der Bundeswehr: das Eiserne Kreuz. Die Karriere seiner Frau als deut­sche Einigungsfigur hat er damit unge­wollt befördert, hatte doch die Nationalbe­wegung erheblich dazu beigetragen, die Begeisterung jener Tage zu schüren. Als unter dem Zeichen des Kreuzes ein Sieg dem anderen folgte, galt das als Beweis für Luises Fortwirken im Himmel. „Wie der Engel mit dem Flammenschwert", so Mommsen, war sie den Heerscharen vor­angezogen.

Entgegen der Tradition der Hohenzol­lernfamilie hatte Friedrich Wilhelm seine Frau nicht im Berliner Dom bestatten, son­dern ihr ein Mausoleum im Charlottenbur­ger Schlosspark bauen lassen. Für den In­nenraum schuf Christian Daniel Rauch eine Sarkophagfigur. Sie wurde ein Meilen­stein des Klassizismus und der Grundstein für Rauchs Aufstieg zum erfolgreichsten deutschen Bildhauer seines Jahrhunderts. Just am 30. Mai 1815, dem Tag, da der Kö­nig vom Wiener Kongress zurückkehrte, war das Denkmal in Charlottenburg voll­endet. Konnte das ein Zufall sein? Sofort nach seiner Ankunft begab sich der König mit seinen Kindern in den Tempel. Da lag Luise in der Blüte ihrer Jahre. Eine antike Göttin, wie schlafend, in einem Gewand so dünn, dass sie fast wie nackt erschien. Das Bildnis einer Frau, die das Leben noch vor sich hatte.

Kaum eine Vorstellung hat die Dichterherzen der vaterländischen Histori­ker seitdem mehr bewegt als die des trauri­gen Siegers, der von der feierlichen Erneue­rung der alten Ordnung kam, für die Luise sich geopfert hatte, und seinen Lorbeer­kranz nun auf ihr Grabmal legte.

Gleich wie es einer Frau zum letzten Mal vergönnt war, im Licht der Moderne eine Heilige zu werden, so sollte es einem Kunst­werk letztmalig gelingen, zur Ikone zu wer­den, zum magischen Objekt. Hunderttau­sende besuchten und berührten jene Grab­statue, zumal die marmorne Luise alsbald an die Stelle der historischen getreten war. Dass Luise „statuenschön" gewesen sei und von „hellenischem Geist" erfüllt, dass sie „alabasterweiß", ja wie „aus Marmor gebildet" auf dem Sterbebett gelegen habe, konnte man allenthalben lesen.

Viele Nationen suchen Verkörperung in einer Frau. Anziehend, mütterlich und kraftspendend, verlangte die Nation, was sie zugleich versprach: Liebe, Schutz, Ge­borgenheit. Kriegerdenkmale des späten 19. Jahrhunderts zeigten weibliche Personi­fikationen in verführerischer Gestalt, galt es doch, Soldaten anzuspornen, ihr Blut fürs Vaterland zu geben, wie sie es für ihre Mutter oder Geliebte auch vergießen wür­den. Luise, zur „wahren Germania" allego­risiert, war die erste dieser Frauen.

Doch während die Königin zur Mutter der deutschen Wiedergeburt wurde und ihr Mausoleum zum ersten Denkmal des politi­schen Totenkultes, enttäuschten Friedrich Wilhelm III. und sein Sohn und Nachfolger Friedrich Wilhelm IV die Hoffnungen auf Einigkeit und Recht und Freiheit. Zwar er­klärte der Sohn der Königin noch 1849, die Einheit Deutschlands liege ihm am Her­zen, sie sei das Erbe seiner Mutter, doch hinderte ihn das nicht daran, die ihm von der Frankfurter Paulskirche angetragene Kaiserkrone als „Schweinekrone" zurück­zuweisen. Zu sehr hing der Geruch der Re­volution an ihr. Historiker wie Johann Gu­stav Droysen mochten sich noch so eifrig darum bemühen, die Hohenzollern durch Beschwörung ihrer Ahnen von ihrer natio­nalen Berufung zu überzeugen. Aber auch die „borussianische Legende" um Fried­rich den Grossen konnte das Misstrauen der preußischen Könige gegenüber einer deut­schen Kaiserwürde nicht schmälern.

Erst 1870 wendete sich das Blatt. Ein merkwürdiger Zufall der Geschichte wollte es, dass die französische Kriegserklärung, die den dritten Eini­gungskrieg einleitete, Preußen am 19. Juli erreichte, dem 60. Todestag Luises. Wäh­rend Bismarck den Reichstag in Kriegstau­mel versetzte, fuhr der greise König Wil­helm, der seinem kinderlosen Bruder 1861 auf dem Thron gefolgt war, zum Mauso­leum seiner Mutter. Wie der Maler Anton von Werner die Welt später glauben mach­te, stand Wilhelm dort in stummer An­dacht vor dem Bild der Frühverstorbenen, als ein Lichtstrahl auf ihr Haupt fiel, gleich so, als ob der Herrgott sie erwecken wollte. Der Allmächtige, so schien es, leg­te die Zügel von Wilhelms Schlachtross der Mutter in die Hand. Die Befreiungs­kriege gingen gleichsam in die zweite Run­de, verkürzt auf eine Familienangelegen­heit: die Rache des Sohnes an Napoleon III. dem Neffen des Mörders seiner Mut­ter. Der Krieg gegen Frankreich wurde zum Duell um die männliche und nationa­le Ehre. Als Wilhelm 1. am 18. Januar 1871 in Ver­sailles die ihm von den deutschen Fürsten angetragene Kaiserwürde annahm, war das Erbe seiner Mutter endlich vollendet. Ihr Leben über den Tod hinaus geriet zum Gründungsmythos des Deutschen Reiches sowie zur historischen Legitimation des preußischen Führungsanspruchs. Die bür­gerliche Begeisterung für die „Preußenmadonna" kannte kein Halten mehr und setz­te einen Kult in Gang, der in der deutschen Geschichte ohne Beispiel ist. Ungezählte Strassen und Plätze, Parks und Berge, Kir­chen und Schulen, ja selbst Kriegsschiffe trugen den Namen der „edelsten Frau der deutschen Geschichte". Ihr Todestag wur­de als Königin-Luise-Tag zu einem Famili­enfest für Millionen, mit Kranzniederlegun­gen von Veteranenverbänden bis zu Frauen­schwimmvereinen.

Eine Königin verkörperte den Sieg des Bürgertums wie auch der Hohenzollern­monarchie, doch wich nach 1871 der einst progressive Gehalt ihres Mythos dem Er­halt von konservativen Werten. In Zeiten, in denen das Schreckgespenst der politi­schen Frau zu spuken begann, diente die Königin nicht etwa der Emanzipationsbe­wegung, sondern dem Gegenteil: einer star­ren Rollenverteilung zwischen Mann und Frau. Luise wurde immer häuslicher. Dass ihr Eingreifen in die Politik nur aus der Not geboren war, dass die „königliche Dulde­rin" aus nationalem Instinkt und Gefühl ge­handelt hatte, nicht aus Verstand, lernten ganze Generationen in der Schule. „Lerne weinen ohne zu klagen", schrieb die preußische Offizierstochter Marlene Dietrich kurz vor ihrem Tod 1992. „Königin Luise von Preußen schrieb dies auf der Flucht an die Wand.

„Mehr als von der Verleumdung ihrer Feinde hat sie von der Phrasenhaftigkeit ihrer Verherrlicher zu leiden gehabt", schimpfte Theodor Fontane, doch änderte das nichts an der Hochstimmung, die noch die Nationalsozialisten zu schüren verstan­den. Als Luise jedoch 1945 im letzten und subtilsten Durchhaltefilm des Hitlerrei­ches, Veit Harlans „Kolberg", vor die Deut­schen trat, fehlte diesen längst die Kraft für Illusionen. „So wollen sie uns schmackhaft machen", schrieb ein Zeitgenosse, „dass wir hier verheizt werden!"

Die populärste aller Preußenköniginnen ist Luise bis auf den heutigen Tag geblie­ben. Unberührt von allen Kriegen, unbe­schadet von der so anrührenden wie mon­strösen Verklärung ihrer Person, steht ihre Sarkophagfigur noch heute in Charlotten­burg. Blumen liegen ihr zu Füssen.



Der Verfasser ist Kunsthistoriker an der FU Berlin. Dieser Artikel erschien in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" am 6. November 2003.

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Wir sind noch lange nicht am Ende, wir fangen ja gerade erst an...