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Dienstag, 2. Januar 2007

Die Preußenmadonna



Von Philipp Demandt

Im Juli 1810 starb Luise, die Königin von Preußen. Vier Jahre zuvor war das Land Napoleon unterlegen, auf dem Höhepunkt der wirtschaftlichen und moralischen Misere verlor Preußen die schöne Landesmutter, die heldenhafte Lichtgestalt. Doch kein Tod ohne Leben: Im Mythos wurde Luise wiedergeboren, wurde zur Losung in den Befreiungskriegen, wurde zur Mutter der deutschen Nation


Ich bin wie vom Blitz getroffen", schrieb General Blücher auf die Todesnachricht und setzte resigniert hinzu: „Es ist doch unmöglich, dass einen Staat soviel aufeinander folgendes Unglück treffen kann." Längst nämlich wähnten sich die Preußen auf dem Tiefpunkt ihrer Geschichte. Der frühe Tod der Königin Luise im Juli 1810 belehrte sie eines Besseren. Die Niederlage gegen Napoleon 1806, die überstürzte Flucht der Königsfamilie nach Ostpreußen und das Friedensdiktat von Tilsit hatten das Land schwer getroffen. Preußen verlor die Hälfte seines Staatsgebietes wie seiner Bewohner, tagelang hing seine Existenz als souveräner Staat am seidenen Faden.
Als die Hoffnung auf einen milden Frie­den schwand, ließ sich die Königin zu ei­nem Bittgang zu Napoleon überreden. Da­bei war der Hass der beiden aufeinander le­gendär: Eine „blutrünstige Amazone" hat­te der Korse seine „größte Feindin" öffent­lich genannt. Und diese sparte nicht mit Wi­derworten: Bonaparte, der „sich aus dem Kot emporgeschwungen" hatte, war der „Teufel in Menschengestalt". Zwar änder­ten beide ihre Meinung, als sie sich in Tilsit gegenüberstanden - sie bewunderte sein Cäsarenhaupt, er nannte sie eine Frau „von Geist und Haltung" -, dennoch fanden die Bitten der Königin kein Gehör.

Das Gespräch endete jäh, als Friedrich Wilhelm III. in das Zimmer stürmte; zu lan­ge war seine Frau mit Preußens Erzfeind schon allein gewesen. „Der König kam zur rechten Zeit", erzählte Napoleon nachher. „Wäre er eine Viertelstunde später herein­gekommen, so hätte ich der Königin alles versprochen." Friedrich Wilhelm ging als Trottel in die Geschichte ein. Seine Frau hingegen wurde zur Symbolfigur des deut­schen Durchhaltewillens noch im Ange­sicht der größten Schmach. Als solche soll­te sie noch Joseph Goebbels im Jahr 1945 vor das Volk treten lassen.

Seit ihrer Ankunft in Berlin 1793 war die schöne Mecklenburgerin enorm beliebt. Vor allem die Männerwelt lag ihr zu Fü­ssen. Dichter wie Diplomaten berauschten sich an ihrem Anblick, und bei Staatsban­ketten wurde Luise mitunter so unnachsich­tig angestarrt, dass ihr der Appetit verging. Schuld daran war aber nicht zuletzt sie selbst, ging sie doch in der „griechischen Mode" voran: Weit ausgeschnittene, hauch­dünne Gewänder, die den „vollen Spiel­raum der Bewunderung" ermöglichten, machten sie zur erotischen Idealgestalt ih­rer Epoche. Wenngleich manche Zeitgenos­sen die Stirn in Falten legten: „Ich kann nicht begreifen, wie der König seiner koket­ten Frau erlauben kann, sich so anzuzie­hen", schrieb etwa die Gräfin Brühl. Deutli­chere Worte fand 1929 Marie von Bunsen in Erinnerung an die wilhelminische Ära: „So hüllenlos wie Königin Luise, das hätten in meiner Zeit nur Kokotten getan."

Luises Volksnähe, ihr ungekünsteltes Verhalten und ihre für den Adel ungewöhn­liche Liebesheirat hatten ihr die Sympa­thien des Bürgertums gebracht, das seine Lebensweise in ihr verkörpert glaubte. Wie anders sah dagegen das Leben am Hof des Schwiegervaters aus, Friedrich Wilhelms II., des „dicken Lüderjahns", wie ihn der Volksmund nannte. „Ganz Potsdam war wie ein Bordell", erinnerte sich der Bild­hauer Schadow. Die Verklärung der jungen Königin, 1797 auf den Thron gestiegen, besaß darum von Anfang äh politische Bedeu­tung. Luise wurde zum Inbegriff der „neu­en Frau", der treuen, häuslichen und zärtli­chen Mutter, was ihre Rolle als Mittlerin zwischen Bürgertum und Krone noch stärk­te. Jede Frau und Mutter solle ein Bild der Königin in ihrem Zimmer haben, begeister­te sich Novalis, und die Schriftstellerin Ma­ria Mnioch hoffte, solche „Madonnenbil­der" könnten die „blöden Gemüter" des Adels heilen. So war es vor allem die Le­bensweise, die das Königspaar zur politi­schen Führung legitimierte. Ein Herrscher­paar, das nach den Maximen des Bürger­tums lebte, konnte diesem kein Gegner im Kampf um Freiheit und politische Rechte sein, sondern wies in eine gemeinsame, bür­gerliche Zukunft.

Wie so oft aber war das Wunschdenken mächtiger als die Wirklichkeit. Vergessen war, dass Luise zur Verschwendung neigte und Friedrich Wilhelm nur den Bürger mimte, weil ihm seine Königswürde eine Bürde war. Was machte es, dass König und Königin im absolutistischen Denken gefan­gen blieben, die zelebrierte Natürlichkeit im Zeitalter der Empfindsamkeit auch eine Bewegung des Adels war und Luise von Eingeweihten zwiespältig beurteilt wurde? „Sie ist keine edle Frau", schrieb der Frei­herr vom Stein. Er fand sie oberflächlich und gefallsüchtig, während Gneisenau sie auch in ihrer Rolle als Mutter „nicht ach­tungswürdig" nannte. „Selbst ihr Herz war ihrem Gemahl nicht immer zugewandt", schrieb der Feldmarschall, schließlich war die Vernarrtheit der Königin in den russi­schen Zaren am Hof bekannt. Kritik wie diese aber blieb der Öffentlichkeit verbor­gen und konnte darum das ideale Bild der Königin nicht trüben. Ihre Kinder dankten ihr die zwanglose Erziehung mit inniger Liebe. Und während Frankreich unter den Nachwehen der Revolution zu leiden hatte, verkörperte Luise in Preußen die Hoffnung auf Erneuerung der Monarchie auf gewalt­losem Wege.

Die Königin wurde um so wichtiger, als sich nach 1806 das Bedürfnis nach einer mo­ralischen Instanz ganz und gar auf sie richte­te. Die Niederlage gegen Napoleon hatte zahlreiche Missstände offenbart: Die Orga­nisation des Militärs war veraltet, die Bin­dung des Volkes an den Staat gering, die Kabinettsregierung schwerfällig und der König unfähig, den Problemen seiner Zeit angemessen zu begegnen. Während sich Friedrich Wilhelm mit dem Gedanken trug, auf den Thron zu verzichten, zeigte sei­ne Gattin Pragmatismus. „Man sieht sie ei­nen wahrhaft königlichen Charakter entwickeln", schrieb Heinrich von Kleist. Histo­risch korrekt setzte Theodor. Mommsen 1876 hinzu, Luise habe wie viele Frauen im Unglück eine Stärke offenbart, die Männer für gewöhnlich in der Not verlören.

Zwei Männer hielten jedoch der Bela­stung stand, Männer, auf die Luise große Hoffnung setzte: die Staatsreformer Stein und Hardenberg, die das Fundament des modernen Preußens legten. Während sich Stein durch seine schroffe Art die Königin im Lauf der Zeit zur Feindin machte, konn­te Hardenberg auf ihre beständige Unter­stützung zählen. Seine Berufung zum Staatskanzler 1810 war Luises Werk. Zahl­reiche Neuerungen wie die allgemeine Wehrpflicht und die Gewerbefreiheit, die Emanzipation der Juden, die Befreiung der Bauern und die Städteordnung sollten die Identifikation der Bürger mit den Belan­gen des Staates stärken. Das revolutionäre Frankreich hatte als Vorbild gezeigt, wel­che Kräfte eine von Verfassung und Zivilge­setzbuch geschützte Nation besaß, und zu­gleich als Feindbild ein neues Gemein­schaftsgefühl im Kampf gegen die Besatzer erzeugt. Nun galt es, die Errungenschaften der Revolution zu verwirklichen, ohne den absoluten Machtanspruch' der preußischen Monarchie zu schmälern.

All das war um so dringlicher, als „Nation" und ,Vaterland" zu Lo­sungsworten der Besatzungszeit ge­worden waren. Überall im Land wurden Tugendbünde gegründet, um die patrioti­sche Gesinnung zu stärken. Der moderne Nationalismus war entstanden, aufgeklärt und idealistisch auf der einen Seite, hasser­füllt und aggressiv auf der anderen, in bei­dem jedoch ein Appell an Deutschlands Bürger, ihr politisches Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Hatte Hegel 1802 noch die „politische Nullität" des bürgerli­chen Standes gerügt, so gründeten Bürger nun soziale Stiftungen, von denen einige Luises Namen trugen.

Die „Geburt der deutschen Nation" heißt diese Zeit in den Geschichtsbüchern, eine Zeit, die das Bild des Staatsbürgers bis heute prägt, eine Zeit, in der die Königin von Preußen plötz­lich stirbt.

Luises Tod am 19. Juli 1810 war für Preußen ein Schock. Auf dem Tiefpunkt der wirtschaftlichen und moralischen Misere stirbt die einzige Lichtgestalt, erst Monate zuvor aus dem Exil zurückgekehrt. Schreckliche Szenen spielten sich an ihrem Sterbela­ger ab. Der König, die beiden ältesten Söh­ne, die Schwester Friederike, der Vater und sogar die Großmutter waren zugegen, als Luise im Schloss von Hohenzieritz, dem Landsitz ihres Vaters, nach tagelangem To­deskampf einem Lungenleiden erlag, 34 Jahre alt. „Sie ist mein Alles!" hatte ihr Mann zuvor geschrieben. „Wenn wir nur beisammen bleiben, dann ergehe über uns was Gottes Wille ist. Amen! Amen! Amen!" Als ihn die Ärzte drängten, ihr die Nachricht von der Unausweichlichkeit des nahen Todes zu überbringen, und er dar­über die Fassung verlor, war sie es, die ihn stützte. Es könne nicht Gottes Wille sein, dass sie von ihm gehe, sagte Friedrich Wil­helm zu ihr am Sterbebett, da doch nur sie sein Freund auf Erden sei. „Und Harden­berg", fiel Luise ihm ins Wort. Sie wahrte Haltung bis zum Ende.

Wenige Wochen später warfen die Druckerpressen das erste Bild der Sterbeszene aus. Die Darstellung bediente das Verlan­gen nach einem Mythos, denn sie entsprach der bürgerlichen Vorstellung vom schönen Tod: Abschied nehmend von der Familie, die Kinder segnend, starb die Königin den Tod der tugendhaften Christin. Ihrem „bürgerlichen" Leben folgte ein ebensolcher Tod.

Als der Leichenzug Berlin erreichte, wur­de er am Brandenburger Tor von einer ge­waltigen Menge empfangen. Es herrschte eine Stille, „die man sich kaum vorstellt", berichtete Wilhelm von Humboldt. Zum großen Bedauern des Publikums aber hatte die Sommerhitze dem Leichnam so zuge­setzt, dass man ihn nicht mehr zeigen konn­te. Dennoch gab es im Stadtschloss die Gele­genheit, drei Tage lang an dem Sarg vorbei­zudefilieren.

Mythen sollen historischen Ereignissen Sinn verleihen, und es dauerte nur Tage, bis die kollektive Suche nach einem Sinn in Luises Tragödie am Ziel war: „Man hör­te aus dem Munde sonst ruhiger Bürger die fürchterlichsten Verwünschungen ge­gen den verhassten Usurpator ausstoßen, der mit kaltem Hohn das Herz der Köni­gin zum Tode verwundet hatte", schrieb die „Vossische Zeitung" später. Als be­kannt wurde, dass die Obduktion einen or­ganischen Herzfehler zutage gebracht hat­te, war der Beweis dafür erbracht, was je­des preußische Schulkind bis 1945 lernen sollte: dass die Königin Luise am gebroche­nen Herzen gestorben war, aus Gram über ihr geschundenes Vaterland. Das Wissen von der Gefährdung ihrer Gesundheit nach zehn Schwangerschaften binnen anderthalb Jahrzehnten wich dem Glauben an ihren Märtyrertod. Die mehr als ein Jahrhundert währende Erbfeindschaft mit Frankreich war besiegelt und das für den Nationalismus grundlegende Feindbild ausgemacht, definierten sich doch nahezu alle europäischen Nationen des 19. Jahr­hunderts durch den Gegensatz zu ihren Nachbarn. „Louise sei das Losungswort zur Rache!" rief Theodor Körner, der Hel­dendichter der Befreiungskriege, und so war und blieb der Tod der Königin „ein Mord, begangen durch die französische Nation", wie man noch 1892 bei Hermann Maertens lesen konnte: „Ihn zu rächen wurde unserer Nation zur heiligen Pflicht. Diese Anschauung ist bis heute eine Erb­schaft Preußens geblieben."

Die deutschnationale Sammlung um die Bahre der „echt deutschen Frau" entsprach jedoch nur bedingt den Interessen der preußischen Monarchie. Zu oft vernahm man den Ruf nach dem „Schutzgeist deutscher Sache", als welcher Luise weiterlebte. In der offiziellen Verlautbarung auf ihren Tod mahnte denn auch der Hofprediger Sack das Volk zur bedingungslosen Treue zum vereinsamten Preußenkönig und versicher­te, dass es nur natürlich sei, wenn sich nach dem Tod der Landesmutter die Hinterblie­benen dem „doppelt teuren Vater" an­schlössen. Die tote Königin wurde zur poli­tischen Herrschaftsressource. Und in der Tat gab der scheue, linkische König in der Realität wie in der Phantasie der Menschen ein so erschütterndes Bild ab, dass er dem Volk sympathisch wurde. Er war der „trau­ernde Ritter, der seine verlorne Geliebte nimmer vergessen konnte", schrieb Ernst Moritz Arndt, der im Witwer ein poeti­sches Ideal erblickte. „Auf Poesie ist die Si­cherheit der Throne gegründet", erklärte Gneisenau 1811 dem König. Drei Jahrzehn­te später schrieb Edgar Allan Poe: „Der Tod einer schönen Frau ist ohne Zweifel das poetischste Thema der Welt." Als 1813 die Befreiungskriege begannen, stiftete Friedrich Wilhelm am Ge­burtstag seiner verstorbenen Frau ihr zu Ehren einen Kriegsorden. Er wurde erst­mals unabhängig von Stand und Rang ver­liehen und ist noch heute das Hoheitsab­zeichen der Bundeswehr: das Eiserne Kreuz. Die Karriere seiner Frau als deut­sche Einigungsfigur hat er damit unge­wollt befördert, hatte doch die Nationalbe­wegung erheblich dazu beigetragen, die Begeisterung jener Tage zu schüren. Als unter dem Zeichen des Kreuzes ein Sieg dem anderen folgte, galt das als Beweis für Luises Fortwirken im Himmel. „Wie der Engel mit dem Flammenschwert", so Mommsen, war sie den Heerscharen vor­angezogen.

Entgegen der Tradition der Hohenzol­lernfamilie hatte Friedrich Wilhelm seine Frau nicht im Berliner Dom bestatten, son­dern ihr ein Mausoleum im Charlottenbur­ger Schlosspark bauen lassen. Für den In­nenraum schuf Christian Daniel Rauch eine Sarkophagfigur. Sie wurde ein Meilen­stein des Klassizismus und der Grundstein für Rauchs Aufstieg zum erfolgreichsten deutschen Bildhauer seines Jahrhunderts. Just am 30. Mai 1815, dem Tag, da der Kö­nig vom Wiener Kongress zurückkehrte, war das Denkmal in Charlottenburg voll­endet. Konnte das ein Zufall sein? Sofort nach seiner Ankunft begab sich der König mit seinen Kindern in den Tempel. Da lag Luise in der Blüte ihrer Jahre. Eine antike Göttin, wie schlafend, in einem Gewand so dünn, dass sie fast wie nackt erschien. Das Bildnis einer Frau, die das Leben noch vor sich hatte.

Kaum eine Vorstellung hat die Dichterherzen der vaterländischen Histori­ker seitdem mehr bewegt als die des trauri­gen Siegers, der von der feierlichen Erneue­rung der alten Ordnung kam, für die Luise sich geopfert hatte, und seinen Lorbeer­kranz nun auf ihr Grabmal legte.

Gleich wie es einer Frau zum letzten Mal vergönnt war, im Licht der Moderne eine Heilige zu werden, so sollte es einem Kunst­werk letztmalig gelingen, zur Ikone zu wer­den, zum magischen Objekt. Hunderttau­sende besuchten und berührten jene Grab­statue, zumal die marmorne Luise alsbald an die Stelle der historischen getreten war. Dass Luise „statuenschön" gewesen sei und von „hellenischem Geist" erfüllt, dass sie „alabasterweiß", ja wie „aus Marmor gebildet" auf dem Sterbebett gelegen habe, konnte man allenthalben lesen.

Viele Nationen suchen Verkörperung in einer Frau. Anziehend, mütterlich und kraftspendend, verlangte die Nation, was sie zugleich versprach: Liebe, Schutz, Ge­borgenheit. Kriegerdenkmale des späten 19. Jahrhunderts zeigten weibliche Personi­fikationen in verführerischer Gestalt, galt es doch, Soldaten anzuspornen, ihr Blut fürs Vaterland zu geben, wie sie es für ihre Mutter oder Geliebte auch vergießen wür­den. Luise, zur „wahren Germania" allego­risiert, war die erste dieser Frauen.

Doch während die Königin zur Mutter der deutschen Wiedergeburt wurde und ihr Mausoleum zum ersten Denkmal des politi­schen Totenkultes, enttäuschten Friedrich Wilhelm III. und sein Sohn und Nachfolger Friedrich Wilhelm IV die Hoffnungen auf Einigkeit und Recht und Freiheit. Zwar er­klärte der Sohn der Königin noch 1849, die Einheit Deutschlands liege ihm am Her­zen, sie sei das Erbe seiner Mutter, doch hinderte ihn das nicht daran, die ihm von der Frankfurter Paulskirche angetragene Kaiserkrone als „Schweinekrone" zurück­zuweisen. Zu sehr hing der Geruch der Re­volution an ihr. Historiker wie Johann Gu­stav Droysen mochten sich noch so eifrig darum bemühen, die Hohenzollern durch Beschwörung ihrer Ahnen von ihrer natio­nalen Berufung zu überzeugen. Aber auch die „borussianische Legende" um Fried­rich den Grossen konnte das Misstrauen der preußischen Könige gegenüber einer deut­schen Kaiserwürde nicht schmälern.

Erst 1870 wendete sich das Blatt. Ein merkwürdiger Zufall der Geschichte wollte es, dass die französische Kriegserklärung, die den dritten Eini­gungskrieg einleitete, Preußen am 19. Juli erreichte, dem 60. Todestag Luises. Wäh­rend Bismarck den Reichstag in Kriegstau­mel versetzte, fuhr der greise König Wil­helm, der seinem kinderlosen Bruder 1861 auf dem Thron gefolgt war, zum Mauso­leum seiner Mutter. Wie der Maler Anton von Werner die Welt später glauben mach­te, stand Wilhelm dort in stummer An­dacht vor dem Bild der Frühverstorbenen, als ein Lichtstrahl auf ihr Haupt fiel, gleich so, als ob der Herrgott sie erwecken wollte. Der Allmächtige, so schien es, leg­te die Zügel von Wilhelms Schlachtross der Mutter in die Hand. Die Befreiungs­kriege gingen gleichsam in die zweite Run­de, verkürzt auf eine Familienangelegen­heit: die Rache des Sohnes an Napoleon III. dem Neffen des Mörders seiner Mut­ter. Der Krieg gegen Frankreich wurde zum Duell um die männliche und nationa­le Ehre. Als Wilhelm 1. am 18. Januar 1871 in Ver­sailles die ihm von den deutschen Fürsten angetragene Kaiserwürde annahm, war das Erbe seiner Mutter endlich vollendet. Ihr Leben über den Tod hinaus geriet zum Gründungsmythos des Deutschen Reiches sowie zur historischen Legitimation des preußischen Führungsanspruchs. Die bür­gerliche Begeisterung für die „Preußenmadonna" kannte kein Halten mehr und setz­te einen Kult in Gang, der in der deutschen Geschichte ohne Beispiel ist. Ungezählte Strassen und Plätze, Parks und Berge, Kir­chen und Schulen, ja selbst Kriegsschiffe trugen den Namen der „edelsten Frau der deutschen Geschichte". Ihr Todestag wur­de als Königin-Luise-Tag zu einem Famili­enfest für Millionen, mit Kranzniederlegun­gen von Veteranenverbänden bis zu Frauen­schwimmvereinen.

Eine Königin verkörperte den Sieg des Bürgertums wie auch der Hohenzollern­monarchie, doch wich nach 1871 der einst progressive Gehalt ihres Mythos dem Er­halt von konservativen Werten. In Zeiten, in denen das Schreckgespenst der politi­schen Frau zu spuken begann, diente die Königin nicht etwa der Emanzipationsbe­wegung, sondern dem Gegenteil: einer star­ren Rollenverteilung zwischen Mann und Frau. Luise wurde immer häuslicher. Dass ihr Eingreifen in die Politik nur aus der Not geboren war, dass die „königliche Dulde­rin" aus nationalem Instinkt und Gefühl ge­handelt hatte, nicht aus Verstand, lernten ganze Generationen in der Schule. „Lerne weinen ohne zu klagen", schrieb die preußische Offizierstochter Marlene Dietrich kurz vor ihrem Tod 1992. „Königin Luise von Preußen schrieb dies auf der Flucht an die Wand.

„Mehr als von der Verleumdung ihrer Feinde hat sie von der Phrasenhaftigkeit ihrer Verherrlicher zu leiden gehabt", schimpfte Theodor Fontane, doch änderte das nichts an der Hochstimmung, die noch die Nationalsozialisten zu schüren verstan­den. Als Luise jedoch 1945 im letzten und subtilsten Durchhaltefilm des Hitlerrei­ches, Veit Harlans „Kolberg", vor die Deut­schen trat, fehlte diesen längst die Kraft für Illusionen. „So wollen sie uns schmackhaft machen", schrieb ein Zeitgenosse, „dass wir hier verheizt werden!"

Die populärste aller Preußenköniginnen ist Luise bis auf den heutigen Tag geblie­ben. Unberührt von allen Kriegen, unbe­schadet von der so anrührenden wie mon­strösen Verklärung ihrer Person, steht ihre Sarkophagfigur noch heute in Charlotten­burg. Blumen liegen ihr zu Füssen.



Der Verfasser ist Kunsthistoriker an der FU Berlin. Dieser Artikel erschien in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" am 6. November 2003.

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