Da lagen sie vor mir ausgebreitet - die Briefwahlunterlagen. Am Sonntag wollen wir zu einer Veranstaltung nach Potsdam, so hatten wir für die am 9. Juni stattfindenen EU-Wahlen die Briefwahl beantragt. Und da in Brandenburg gleichzeitig die Kommunalwahl stattfindet, war der Papierstapel, der da vor mir lag, schon einigermaßen gewaltig. EU, Stadtparlament, Kreistag, Ortsbeirat.
Schmeiß ' ich die Tapeten gleich in die blaue Tonne? Gut, sehen wir uns die Zettel und die Typen darauf wenigstens mal an. Da waren sie wieder, die eigentlich gänzlich gescheiterten Blockflöten von CDUSPDSEDFDPGRÜNEN. Manche Backpfeifengesichter begleiten mich hier schon fast 30 Jahre. Auch irgendwelche ominösen Bündnisse, denen die Arbeit der Freien Wähler in Bernau und in Brandenburg nicht wischiwaschi genug ist und die damals schon bei den Altanschließerdemos die Bürgerbewegten spalten mussten, kriechen wieder ans Licht und buhlen um die Wählerstimmen, obwohl sie noch nie einen Beschluß im Sinne der Bürger mitgetragen haben.
Ganz schlimm auch die Altkader der SPD, die inzwischen von den eigenen Genossen kalt gestellt worden waren und irgendwas mit "unabhängig" machen wollen. Eigentlich erwartete ich sogar noch unsere ehemalige SPD-Ortsvorsteherin, die schon bei den vorigen Wahlen von ihren Parteifreunden abgesägt wurde und damit in den diversen Aufsichtsräten der stadteigenen Firmen nichts mehr verdienen konnte. Daraufhin hatte sie ihre fast dreißigjährige Parteimitgliedschaft auf den Kompost geworfen. So geht Weltanschauung, Genossen. Aber A. erscheint nicht mehr, sie ist vergnatzt. Gut für uns.
Oder ein Meister im Kundenvergraulen von der Merzelpartei, der uns stets dazu bringt, mit unseren kaputten Fahrrädern zu seinen Mitbewerbern, d.h. also anderen Meistern zu gehen, uns aber auf seinen Wahlplakaten etwas über freie Wirtschaft erzählen will.
Apropos Mitbewerber: In einer meiner ersten Verkaufsschulungen habe ich gelernt, daß es eher kontraproduktiv ist, in einem Kundengespräch immer wieder Bezug auf den oder die Konkurrenten zu nehmen. Man kommt nämlich unweigerlich vom Thema - dem eigenen Produkt - ab und redet dann nur noch über die vermeintlich schlechten Produkte der Konkurrenz, vergißt aber, die eigene Alleinstellung herauszuarbeiten. Der Kunde merkt das und ist verstimmt. Zumindest in dem Brandenburger/Barnimer Ableger der Merzels hat diesen Grundsatz noch nie jemand gehört, denn man hatte es sogar auf den großen Plakatwänden offenbar nötig, irgendwelche dämliche Bemerkungen über die Freien Wähler abzusondern.
Auch ich war quasi wie gelähmt, als eine tiefe, herrische Stimme zu mir sprach: " Du dämlicher alter Sack, du bist zwar getauft, aber du hast mich fast 72 Jahre lang nur ignoriert oder blöde Witze über mich gemacht! Und heute willst du meine Hilfe?! Hilf' dir selbst, so hilft dir Gott!"
Ich bat: " Dann segne wenigstens meinen Griff!" Der Alte lachte nur und verschwand hinter einer Wolke. Plötzlich konnte ich mich wieder frei bewegen, die Vögel flogen wieder, die Luft war lieblich und mild, die Goldfische wedelten freundlich mit ihren Flossen.
Nun gut, es war dann letztlich ganz einfach. Staatsbürgerliche Pflicht und so wißt schon. Ob's hilft ?