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Sonntag, 9. Januar 2011
Was,bitteschön, ist Kommunismus?
Ich habe lange überlegt, ob ich mich zu diesem Thema überhaupt äußern soll. Zu dieser albernen und nutzlosen Kommunismus-Debatte. Ob ich mich auch von irgendwelchen bayerischen Pappnasen beobachten oder von den anderen übriggebliebenen Kalten Kriegern der Abkehr vom rechten linken Weg bezichtigen lassen soll. Nachdem die einen aber wieder seit Tagen mit Schaum vor dem Munde den Schlachtruf "Die Russen kommen!" intonieren und nach den Sturmabteilungen und deren fröhlichen Ferienlagern für Andersdenkende Marke Dachau rufen und alle so tun, als müsste Gesine nur einen Schalter umlegen, und schon hätte man den Kommunismus oder was Einzelne dafür halten, muss ich mich einfach wieder aus dem Fenster lehnen und die fällige Prügel kassieren.
Was ist Kommunismus ? Eine zugegebenermaßen etwas antisowjetische Erklärung wurde dem Genossen Iwan Iwanowitsch, Parteisekretär der Kolchose "1. Mai" im Weiler Starorossisk im Rayon Primorskoje am Weißen Meer, Ferner Osten der ehemaligen Sowjetunion in einem Witz in den Mund gelegt. Ihn hatten die Genossenschaftsbauern Ende der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts nach Moskau zum Genossen Breschnew geschickt, damit er genau diese Frage kläre. Nun, zum Genossen Breschnew konnte Iwan Iwanowitsch natürlich nicht vorstoßen.
Aber er wurde immerhin von einem hohen Genossen der KPdSU im Moskauer Kreml empfangen, der ihm die Frage folgendermaßen beantwortete: " Nun, Väterchen, komm mal mit mir an das Fenster! Siehst Du dort unten den Parkplatz des Kreml? Dort unten links siehst Du den Tschaika des Genossen Breschnew. Rechts daneben steht der Tschaika des Genossen Außenminister Kossygin, daneben steht der Tschaika vom Genossen Suslow. Und wenn daneben Dein Tschaika steht - dann haben wir den Kommunismus."
Iwan Iwanowitsch hatte auf seinem weiten Weg nach Starorossisk am Weißen Meer genügend Zeit, sich eine etwas volkstümlichere Erklärung des Kommunismus für seine Bäuerlein auszudenken. Sofort nach seiner Rückkehr berief er eine Generalversammlung der Kolchosbauern ein. Nach der offiziellen Eröffnung der Versammlung durch den Genossen Kolchosvorsitzenden erklärte Genosse Iwan Iwanowitsch den Bauern, was Kommunismus ist: "Liebe Genossen Bauern, dreht Euch einmal um! Dort am Eingang zum Versammlungsraum stehen links die Bastschuhe vom Genossen Kolchosvorsitzenden, daneben die Bastschuhe vom Genossen Hauptbuchhalter, daneben wiederum stehen meine Bastschuhe, die Bastschuhe des Parteisekretärs. Und wenn daneben Eure Bastschuhe stehen - dann haben wir den Kommunismus."
An dieser Geschichte, die damals in dieser Form in der DDR erzählt wurde, sind zwei Fakten richtig und zwei sind falsch. Richtig ist, die Parteiführung in der Sowjetunion wurde im Automobil "Tschaika" (Möwe) durch die Gegend kutschiert. Richtig ist auch, dass es im Kreml einen Parkplatz gab. Falsch ist die Sache mit den Bastschuhen. Bastschuhe hatten die Sowjetbürger vor der Revolution und dann erst wieder nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem gnadenlosen Raubzügen solcher Typen wie Chodorkowsky, die innerhalb weniger Jahre zu Multimilliardären wurden, während ein Großteil der Russen, Ukrainer, Tataren, Kasachen usw. hungerten, froren und keine medizinische Versorgung mehr hatten. Falsch ist allerdings auch, dass es schon jemals in der menschlichen Gesellschaft Kommunismus gegeben hat oder man kurz davor war, ihn einzuführen. Es gab Stalinismus, Maoismus, die Roten Khmer, es gab und gibt so eigenartige Dinge wie Feudalsozialismus mit Erbanspruch des Erstgeborenen oder eines auserkorenen Kronprinzen. Letzteres bedeutet in etwa, dass die Mehrheit des Volkes Sozialismus hat und die Führung in Wandlitz Pornofilme sehen darf, große Volvos fährt sowie den Champagner und das Klopapier im KaDeWe kaufen lässt.
Falsch ist auch, dass man Kommunismus einfach einführen kann. Die Klassiker des Kommunismus, Karl Marx und Friedrich Engels bleiben ziemlich unbestimmt, wenn es in ihren Werken um den Kommunismus als solchen geht. Marx legt eine geniale, auch heute noch gültige Analyse der kapitalistischen Gesellschaft vor und überträgt - sehr grob gesagt - die These von der Entwicklung vom Niederen zum Höheren in der Naturwissenschaft auf die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft. Und damit wird klar, dass auch die kapitalistische Form der menschlichen Gesellschaft, die dazu gehörende Produktionsweise und ihre Produktionsverhältnisse irgendwann vergehen müssen. Irgendwann werden die Produktivkräfte - die natürlichen, technischen, organisatorischen und geistig-wissenschaftlichen Ressourcen der Gesellschaft - soweit entwickelt sein, dass sie die Produktionsverhältnisse - die "gesellschaftlichen" Beziehungen, die die Menschen bei der Produktion, beim Austausch, bei der Verteilung und beim Verbrauch von Produkten zum Zweck der Bedürfnisbefriedigung oder als Ware miteinander eingehen - sprengen müssen, damit sie sich weiter zu einer neuen Produktionsweise entwickeln können. Es kommt zu neuen Produktionsverhältnissen.
Marx hat diese komplizierten Zusammenhänge im Vorwort zu seinem Werk „Zur Kritik der Politischen Ökonomie“ so formuliert: "Das allgemeine Resultat, das sich mir ergab und, einmal gewonnen, meinen Studien zum Leitfaden diente, kann kurz so formuliert werden: In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewußtseinsformen entsprechen. Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt. Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt. "
Damit wird erstens klar, dass es nicht von Diskussionen oder Zeitungsartikeln abhängt, ob wir morgen im Freistaat Bayern den Kommunismus einführen. Auch Dioxin- und S-Bahnkrise werden nicht zur Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise führen, auch wenn wir mit den Zähnen knirschen. Jedenfalls nicht morgen. Zweitens wird man als denkender Mensch zugeben müssen, dass alles, was in der menschlichen Gesellschaft besteht, auch irgendwann vergeht. Das wussten schon die alten Griechen. Also ist die kapitalistische Produktionsweise nicht das Ende der Geschichte oder der Entwicklung unserer menschlichen Gesellschaft. Auch wenn das von interessierten Kreisen ständig suggeriert wird.
Nun hat sich ja der Kapitalismus als solcher auch entwickelt, werden da Einige finden und behaupten, Marx sei ja spätestens seit 1989 widerlegt. Tatsächlich, der Kapitalismus hat sich entwickelt. Er hat sich vom Manchester-Kaptitalismus des frühen 19. Jahrhunderts mit der billigen Kinderarbeit in Bergwerken und Fabriken zum globalen Kapitalismus des 21. Jahrhunderts mit der billigen Kinderarbeit in indischen und vietnamesischen Sweatshops gewandelt. Bürgerliche Nationalökonomen prophezeien uns schon seit Jahren den Niedergang der westlichen, vor allem europäischen Welt mit einer ähnlichen Zukunft für unsere Enkel und Urenkel. Danke für Backobst, würde da der Berliner sagen.
Aber der Kapitalismus hat auch ungeheure Produktivkräfte freigelegt, er hat die gesamte Welt zum stetigen Produktionswachstum verurteilt. Ohne Wirtschaftswachstum kein Profit, ohne Profit kein Kapitalismus. Wachstum geht nur mit Verbrauch von Ressourcen wie Rohstoffen, Energie, Wasser. Erdöl wird knapp, um seltene Erden oder Diamanten werden Kriege gefährt, die Bundeswehr wird umgerüstet, um zukünftig den Zugang der Konzerne zu den knapper werdenden Rohstoffen zu sichern. Unaufhörliches Wachstum? Natürlich, es kann noch viel gemacht werden: Solarenergie, Müllverwertung, Biotechnologie usw.. In diesen Produktivkräften stecken noch Reserven.
Trotzdem: Irgendwann ist dieser Planet so ausgeplündert, dass nichts mehr geht. Was dann ? Entwicklung muss nicht immer nur nach oben gehen. Eine Art finsterster Kannibalismus wie bei Pol Pot, in der man "unnütze" Fresser, vor allem natürlich Akademiker, einfach totschlägt und den Mangel durch Zuteilung verwaltet oder eine Gesellschaft wie bei den Amish in den USA? Niemand weiß es. Auch Marx und Engels wussten es nicht und noch weniger unsere abgewirtschafteten Parteiideologen, die uns damals täglich weismachen wollten, dass wir unaufhörlich am Aufbau der Vorstufe des Kommunismus, diesem eigenartigen Sozialismus a la DDR, werkelten.
Bleibt uns nur, nicht sinnlose Diskussionen um des Kaisers Bart zu führen, sondern im hier und heute weiter für eine menschenwürdige Gesellschaft und gegen den Krieg zu kämpfen sowie den Lügen der oberen Zehntausend und ihrer angestellten Politiker unsere Fragen und unsere Wahrheiten um die Ohren zu knallen. Der Schweizer Globalisierungs- und Gesellschaftskritiker Jean Ziegler wurde unlängst in einem lesenswerten Interview von der "Zeit" mit der These konfrontiert, dass er in den fünundsiebzig Jahren seines Lebens und trotz der Veröffentlichung von 20 Büchern nicht viel bewirkt hätte. Ziegler antwortete: "Brecht wurde am Ende seines Lebens gefragt: Was hat das alles denn genützt? All die Theaterstücke, die Schriften, dieses Ringen im Exil? Brecht dachte nach, und schließlich sagte er: Ohne uns hätten sie es leichter gehabt."
Insofern kommt es wieder einmal auf jeden von uns an...
Foto. Aktuell in Nepal (Dieter Schütz / pixelio.de)
3 Kommentare:
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Hallo Frank,
AntwortenLöschenZu diese absurd Kontroverse möchte ich mich gar nicht melden, das wird jeder der „Politiek en Cultuur“ kennt, ohne weiteres verstehen. Für interessierte Betrachter ist ein Blick von Außen immer lehrreich, daher dieser Hinweis auf ein Bericht in „Morning Star“ „Two fighting women of Berlin“ Victor Grossman http://www.morningstaronline.co.uk/index.php/news/content/view/full/99636 Und ich gehe zur Tagesordnung über: Zukunftsgerichtete Erinnerungen und Lehren aus der
Geschichte.
In Flanders fields,
Nadja
@Nadja: Danke für den Link zu diesem außerordentlich interessanten Artikel. Grossman legt den Finger genau in die Wunde! Und vor allem den letzten Satz sollten sich Gysi und Co. einrahmen.Ich habe hier im Nordosten Berlins übelste Erfahrungen mit den sogenannten Linken gemacht, die seit über einem Jahr die SPD-Regierung im Lande Brandenburg stützen.Das sieht so aus, dass man sich bis zur Selbstverleugnung der Platzeckschen SPD unterordnet und die Wähler belügt.Im Landkreis selbst hat man einen 20-jährigen Waschlappen zum Chef der Parteiorganisation gemacht, der sein erklärtes Ziel darin sieht, den sogenannten "Barnimer Weg" - eine Art Nationale Front unter der Führung der SPD mit CDU, FDP und Teilen der Grünen- zu zementieren. Diese Pfeifen kann man getrost vergessen!!! Die bewirken nichts und wollen nur eins - gut bezahlte Plätze in den Parlamenten.
AntwortenLöschenValli überrascht mich immer wieder
AntwortenLöschenDas mit Marx haben wir vergeigt.