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Freitag, 7. Januar 2011

Friedrich Engels: Afghanistan (Teil 3)

Die US-Regierung verstärkt ihre in Afghanistan stationierten Streitkräfte und entsendet 1400 Marine-Infanteristen in die südliche Region Kandahar. Verteidigungsminister Robert Gates genehmigte die Entsendung der Truppen, um einer im Süden befürchteten Offensive der radikalislamischen Taliban begegnen zu können, berichtete das „Wall Street Journal“ am Donnerstag unter Berufung auf Pentagon-Kreise. Sie sollen demnach ab Mitte Januar in der südlichen Region Kandahar stationiert werden. Derzeit sind etwa 97.000 Angehörige der US-Armee in Afghanistan stationiert. Im vergangenen Jahr, dem blutigsten seit Beginn des internationalen Einsatzes im Jahr 2001, kamen in dem Land rund 10.000 Menschen ums Leben, darunter mehr als 700 ausländische Soldaten. Seit Einsatzbeginn starben rund 2300 internationale Soldaten, davon etwa zwei Drittel aus den USA. Gates-Sprecher Geoff Morrell wurde mit den Worten zitiert, mit dem Einsatz zusätzlicher Marineinfanteristen sollen die Fortschritte der vergangenen Monate genutzt und der „Druck auf den Feind“ erhöht werden.

Fortschritte also. Seit 9 Jahren immer nur Fortschritte. Mission completed oder so. Pfeifen im Wald. Wir lesen weiter bei Friedrich Engels:


" Im Jahre 1809 hatte Napoleon General Gardane nach Persien entsandt, um den Schah [Feth Ali-Schah] dazu zu bewegen, in Indien einzufallen, während die britische Regierung in Indien ihren Vertreter [Elphinstone] an den Hof Schah Schudschahs sandte, um diesen gegen Persien aufzustacheln. In dieser Periode kam Randschit Singh zu Macht und Ruhm. Er war ein Häuptling der Sikhs, und kraft seiner großen Fähigkeiten machte er sein Land unabhängig von den Afghanen und errichtete ein Königreich im Pandschab, wodurch er sich den Titel eines Maharadschah (oberster Radschah) und den Respekt der englisch- indischen Regierung erwarb. Dem Usurpator Machmud war es jedoch nicht lange vergönnt, seinen Triumph zu genießen. Fath-Khan, sein Wesir, der jeweils zwischen Machmud und Schah Schudschah geschwankt hatte, wie es ihm gerade sein Ehrgeiz oder das augenblickliche Interesse eingaben, wurde von Kamran, dem Sohn des Königs, ergriffen, geblendet und später grausam getötet. Die mächtige Sippe des getöteten Wesirs schwor, seinen Tod zu rächen. Die Marionette Schah Schudschah wurde wiederum vorgeschoben und Machmud vertrieben. Da indessen Schah Schudschah Ärgernis erregte, wurde er bald darauf abgesetzt und an seiner Stelle einer seiner Brüder gekrönt.
Machmud floh nach Herat, das in seinem Besitz blieb, und nach seinem Tode im Jahre 1829 folgte ihm sein Sohn Kamran als Herrscher über dieses Gebiet. Der Stamm der Bairakschi, der nun die oberste Macht erlangt hatte, teilte das Land unter sich auf, doch wie dort so üblich entzweite er sich und war sich nur einig gegen einen gemeinsamen Feind. Einer der Brüder, Muhammad-Khan, war im Besitz der Stadt Peschawar, wofür er an Randschit Singh Tribut
zahlte; einem anderen gehörte Ghasni, einem dritten Kandahar, während Dost Muhammad, der mächtigste der Familie, in Kabul seine Macht ausübte.

Zu diesem Fürsten wurde 1835 Hauptmann Alexander Burnes als Gesandter geschickt, als Rußland und England in Persien und Zentralasien gegeneinander intrigierten. Er schlug ein Bündnis vor, das Dost Muhammad nur zu bereitwillig akzeptierte; aber die englisch-indische Regierung forderte alles von ihm, während sie ihm absolut nichts als Gegenleistung bot. Inzwischen, nämlich 1838, belagerten die Perser mit russischer Hilfe und Beratung Herat, den Schlüssel zu Afghanistan und Indien; ein persischer und ein russischer Agent trafen in Kabul ein, und Dost Muhammad wurde schließlich durch die ständige Ablehnung jeder positiven Verpflichtung seitens der Briten gezwungen, Angebote der anderen Seite entgegenzunehmen. Burnes reiste ab, und Lord Auckland, der damalige Generalgouverneur von Indien, entschied sich unter dem Einfluß seines Sekretäs W. Macnaghten, Dost Muhammad für das zu strafen, was er ihm selbst aufgezwungen hatte. Er beschloß, ihn zu entthronen und Schah Schudschah einzusetzen, der zu jener Zeit Pensionär der indischen Regierung war. Es wurde ein Vertrag mit Schah Schudschah und den Sikhs abgeschlossen; der Schah begann eine Armee zu sammeln, die von den Briten bezahlt und von ihren Offizieren geführt wurde, und am Satledsch wurde eine englisch-indische Streitmacht zusammengezogen. Macnaghten sollte, von Burnes unterstützt, die Expedition in der Eigenschaft eines Gesandten in Afghanistan begleiten.

Inzwischen hatten die Perser die Belagerung von Herat aufgehoben, und damit entfiel der einzige ernsthafte Vorwand zum Einschreiten in Afghanistan; trotzdem marschierte die Armee im Dezember 1838 in Sind ein und zwang dieses Land zur Unterwerfung und Zahlung eines Tributs zugunsten der Sikhs und Schah Schudschahs.

Am 20. Februar 1839 setzte die britische Armee über den Indus. Sie bestand aus etwa 12.000 Mann und einem Lagergefolge von über 40.000, neben den neuen Aufgeboten des Schahs. Im März wurde der Bolan-Paß überschritten; Mangel an Proviant und Fourage begann sich bemerkbar zu machen, die Kamele blieben zu Hunderten am Wege liegen, und ein großer Teil der Bagage ging verloren. Am 7. April näherte sich die Armee dem Khojuk- Paß, überschritt ihn, ohne Widerstand zu finden, und marschierte am 25. April in Kandahar ein, das die afghanischen Fürsten, Brüder von Dost Muhammad, aufgegeben hatten. Nach einer Ruhepause von zwei Monaten rückte Sir John Keane, der Befehlshaber, mit dem Gros der Armee nach Norden vor und ließ eine Brigade unter Nott in Kandahar zurück. Ghasni, das unbezwingbare Bollwerk Afghanistans, wurde am 22. Juli eingenommen, nachdem ein Überläufer die Nachricht gebracht hatte, daß das Tor nach Kabul als einziges nicht zugemauert war; daraufhin wurde es gesprengt und dann die Festung gestürmt. Nach dieser Katastrophe löste sich die Armee, die Dost Muhammad zusammengebracht hatte, sofort auf, und am 6. August öffnet auch Kabul seine Tore. Schah Schudschah wurde mit allen Zeremonien auf den Thron gesetzt, aber die Zügel der Regierung blieben in Händen Macnaghtens, der auch alle Ausgaben Schah Schudschahs aus der indischen Staatskasse
bezahlte.

Die Eroberung Afghanistans schien abgeschlossen zu sein, und ein beträchtlicher Teil der Truppen wurde zurückgeschickt. Aber die Afghanen gaben sich keineswegs damit zufrieden, von den Feringhi Kafirs (den europäischen Ungläubigen) beherrscht zu werden, und während der Jahre 1840 und 1841 folgte in den einzelnen Teilen des Landes ein Aufstand dem andern. Die englisch-indischen Truppen waren gezwungen, ständig in Bewegung zu bleiben. Doch Macnaghten erklärte, das sei der normale Zustand der afghanischen Gesellschaft, und schrieb nach Hause, alles sei in Ordnung und die Macht Schah Schudschahs festige sich. Vergeblich waren die Warnungen der englischen Offiziere und anderer politischer Agenten. Dost Muhammad hatte sich im Oktober 1840 den Briten ergeben und wurde nach Indien geschickt; alle Aufstände während des Sommers 1841 wurden erfolgreich unterdrückt, und gegen Oktober beabsichtigte Macnaghten, der zum Gouverneur von Bombay ernannt worden war, mit einer anderen Truppeneinheit nach Indien abzuziehen. Da aber brach der Sturm los.

Die Besetzung Afghanistans kostete das indische Schatzamt jährlich 1.250.000 Pfund Sterling: 16.000 Soldaten – die englisch-indischen und die Truppen Schah Schudschahs – in Afghanistan mußten bezahlt werden; weitere 3.000 lagen in Sind und am Bolanpaß; Schah Schudschahs königlicher Prunk, die Gehälter seiner Beamten und alle Ausgaben seines Hofes und seiner Regierung wurden vom indischen Schatzamt bezahlt; und schließlich wurden die afghanischen Häuptlinge aus derselben Quelle subsidiert oder vielmehr bestochen, um zu verhindern, daß sie Unheil stifteten. Macnaghten wurde mitgeteilt, daß es unmöglich wäre, weiterhin diese hohen Geldausgaben beizubehalten. Er versuchte, Einschränkungen vorzunehmen, aber der einzig mögliche Weg, sie zu erzwingen, bestand darin, die Zuwendungen für die Häuptlinge zu beschneiden. An demselben Tage, an dem er das versuchte, stifteten die Häuptlinge eine Verschwörung zur Ausrottung der Briten an, und so war es Macnaghten selbst, der zur Einigung jener aufständischen Kräfte beitrug, die bislang einzeln und isoliert und ohne Übereinstimmung gegen die Eindringlinge gekämpft hatten; übrigens steht ebenfalls fest, daß der Haß auf die britische Herrschaft unter den Afghanen zu dieser Zeit seinen Höhepunkt erreicht hatte.

Die Engländer in Kabul wurden von General Elphinstone befehligt, einem gichtleidenden, unentschlossenen, völlig hilflosen alten Manne, dessen Befehle einander ständig widersprachen. Die Truppen nahmen eine Art befestigtes Lager ein, das eine so große Ausdehnung hatte, daß seine Garnison kaum ausreichte, die Wälle zu besetzen, geschweige denn, noch Abteilungen zum Kampf im offenen Feld zu detachieren. Die Befestigungen waren so mangelhaft, daß Graben und Schutzwehr zu Pferde überwunden werden konnten. Doch dessen nicht genug, wurde das Lager noch von den kaum eine Gewehrschußweite entfernten Höhen beherrscht; um jedoch die Unsinnigkeit der Maßnahmen zu krönen, lagen der gesamte Proviant und alle Medikamente in zwei voneinander getrennten Forts in einiger Entfernung vom Lager, die noch dazu durch ummauerte Garten und ein weiteres kleines Fort, das die Engländer nicht besetzt hielten, von ihnen getrennt waren.

Fortsetzung folgt...

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