Eine wesentliche Erkenntnis aus der Lektüre der Werke des Philologen Victor Klemperer betrifft die Rolle der Sprache in der Entwicklung und im Leben des Menschen. Die Sprache lenkt uns nicht nur schon im Mutterleib, sie bestimmt auch anschließend unser gesamtes tägliches Leben. "Sprache dichtet und denkt nicht nur für mich, sie lenkt auch mein Gefühl, sie steuert mein ganzes seelisches Wesen, je selbstverständlicher, je unbewusster ich mich ihr überlasse." (Zitat nach V. Klemperer: " LTI - Notizbuch eines Philologen", Reclam Taschenbuch Nr. 20149).
Auch der berühmte Freudsche Versprecher, lateinisch Lapsus linguae genannt (eine sprachliche Fehlleistung, bei der ein eigentlicher Gedanke oder eine Intention des Sprechers unwillkürlich zu Tage tritt) begründet sich ja aus einer Verknüpfung des Unbewußten mit den Sprachzentren im Gehirn und sorgt oft für erhellende Einblicke in die Gedankenwelt des Sprechers. Ein lustiges Beispiel für einen solchen Lapsus linguae passierte mir anläßlich einer sehr langen Podiumsdiskussion, in der ich im Präsidium sitzen und Fragen beantworten musste. Nach etwa drei Stunden begann langsam die Blase zu drücken und als man mich fragte, was ich denn tun würde, wenn die Bürde des Landratsamtes an mir vorbeiginge, antwortete ich völlig im Sinne von Vater Freud: " Mein kleines Geschäft weiter betreiben! " Als sich das Lachen im Saal wieder gelegt hatte, blieb mir nur noch darauf hinzuweisen, dass es wohl langsam Zeit für eine kleine Pause wäre.
Leider ist Sprache nicht immer so lustig oder harmlos. Auch in unserem eher gemäßigt ablaufenden Provinzwahlkampf um den Posten des Landrates gab es erhellende sprachliche Auskünfte der Kandidaten. So plakatierte der Amtsinhaber auf seinen Wahlplakaten nicht etwa eine Landratswahl. Nein, wir Bürgerinnen und Bürger waren zur "IHR(K)E Wahl" aufgerufen. Da ging dann natürlich kaum jemand hin. Auch als die "Märkische Oderzeitung" die Kandidaten unabhängig voneinander zu den Stärken des Landkreises befragte, gab es wirklich aufschlussreiche Antworten auf diese Frage. Während sich der Außenseiter sowie die Kandidatin der Linken zu den Menschen als dem größten Potential hier im Barnim bekannten, begann der amtierende Landrat von der hervorrragenden Infrastruktur zu schwafeln. Aufschlussreich und erhellend, vor allem natürlich für ein führendes Mitglied der Sozialdemokratischen Partei im Barnim. Die Akte steht ganz offenbar im Mittelpunkt, leider nicht nur unbewußt.
Aber wie gesagt, wir sind hier nur in der Provinz. Schlimmer wird es, wenn sich Bundes-oder Landespolitiker durch ihre Sprache verraten, ihr tiefstes Inneres quasi unbewußt nach Außen kehren und uns dabei auf eine menschenverachtende Denkweise blicken lassen, die zu anderen Zeiten in einem bestimmten Teil Deutschlands zur Bewährung in der Produktion geführt hätte.
So musste sich unser kleiner Lügen-Kobold Roland K. , der sich als hessischer Ministerpräsident, stellvertretender CDU-Vorsitzender, Hauptverantwortlicher in einem größeren CDU-Spendenskandal und auch als Wahlkampfhetzer gegen ausländische Mitbürger zweifellos zur Elite dieses Staates zählt, in einer Art Wort-Diarrhöe wieder einmal über das dumme, faule Volk äußern. Und seine Worte waren wieder einmal entlarvend:
"Wir müssen jedem Hartz-IV-Empfänger abverlangen, dass er als Gegenleistung für die staatliche Unterstützung einer Beschäftigung nachgeht, auch niederwertiger Arbeit, im Zweifel in einer öffentlichen Beschäftigung", wurde der CDU-Politiker u.a. im "Spiegel" online zitiert.
"Niederwertige " Arbeit. Soso. Nun bin ich selbst so viel Volkswirtschaftler und Ökonom um zu behaupten, dass es " niederwertige" Arbeit genau wie minderwertige Menschenrassen gar nicht gibt. Man misst Arbeit gemeinhin in Zeiteinheiten, die man wiederum mit bestimmten Geldsummen multipliziert. Es gibt also schlecht-, gut-, besser- oder auch geringer bezahlte Arbeit.
Das Wort "niederwertig" allerdings impliziert eine typische, quasi faschistoide Einstellung unserer herrschenden Kaste: "Wir hier oben" - Politiker, Banker, Manager, Lobbyisten usw. - machen eine "hochwertige" Arbeit. "Ihr da unten", die ihr täglich unseren Dreck, unseren Müll, unseres Fäkalien wegräumt, euch jeden Morgen auch unter den widrigsten Bedingungen - weil "wir hier oben" sogar zu blöd sind, den ÖPNV richtig zu organisieren - zur Arbeit quält, um dann für einen Euro oder maximal für Mindestlohn den Mehrwert zu produzieren, den wir verbraten, uns in die Tasche stecken oder sonst irgendwie verjuxen - ihr da unten macht nur eine "niederwertige" Arbeit. Freudscher Versprecher ? Mitnichten ! Hier kommt eine Einstellung zum Ausdruck, die ihresgleichen sucht, vergleichbar vielleicht mit dem Rassenhaß der Sklavenhalter in den amerikanischen Südstaaten oder der Arroganz des Adels im Mittelalter, der die Bauern auf eine unerträgliche Art unterdrückte, ökonomisch aussaugte und gleichzeitig voller Hochmut auf sie herab sah.
Die Frage ist, wie lange wir uns diese bestimmte Art von Menschen noch bieten lassen wollen...
Foto: "Arbeit macht frei" - Eingang zum Stammlager Auschwitz I ( Michael Werner Nicke, www.pixelio.de)
Volle Zustimmung...
AntwortenLöschenJa, Frank, mal davon abgesehen, daß ja alles, was dieser Mann von sich gibt, nicht wirklich veröffentlichenswert ist, aber das Wort "niederwertig" fand ich schon richtig schlimm. Keine Arbeit ist niederwertig, aber das hat man wohl in der kapitalistischen Demokratie noch nicht gelernt. Gruß aus dem schwarzen Bayern. Jeanette
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