Nach einigen Tagen im schönen Bansin - ja, wir waren baden, aber nicht in der 15°C-kalten und unheimlich stürmischen Ostsee, sondern in der Bernsteintherme- ging es gestern gleich nach Potsdam. In der vorletzten Veranstaltung der diesjährigen Musikfestspiele Potsdam Sanssouci las der begnadete Burgschauspieler Michael Heltau Texte , die überwiegend in Wiener Kaffeehäusern entstanden sind. Ursprünglich sollte Fritz Muliar lesen, er ist aber kurz vor der Vollendung seines neunzigsten Lebensjahres verstorben. Man konnte sich allerdings vorstellen, dass Muliar vielleicht in seiner Rolle als Schweijk gestern irgendwie dabei war. Heltau war ja nichts weniger als ein Ersatz. Zusammen mit dem Pianisten Roland Kühne bescherte er uns einen schönen Sonntag nachmittag bei witzigen, manchmal skurrilen Texten, lieblicher Kaffeehausmusik und - nicht zu vergessen - köstlicher Sachertorte und großem Braunen. Im Vordergrund standen natürlich die Ausschnitte aus Werken von Hugo von Hofmannsthal, Ferdinand Raimund, Nestroy, Josef Kainz, Fritz Kortner, Peter Altenberg , Joseph Roth, Roda Roda und vielen anderen.
Ein hervorragendes Beispiel für Wiener Kaffeehausliteratur, also jener Literatur, die zwischen 1890 und 1938 entstand, liefert der Dichter Peter Altenberg. (* 9. März 1859 in Wien; † 8. Jänner 1919 in Wien; eigentlich Richard Engländer) in folgendem kleinen Stück:
Erste Liebe
"Meine »erste Liebe« war Rosie Mischischek, gleichalterig mit mir, zwölf Jahre alt. Wir spielten täglich »Verstecken« auf den Stufen des Theseustempels im Volksgarten. Sonntags trug sie ein grün-seidenes Kleid, geputzt mit schmalen schwarzen Samtbändern, nackte rundlich-eckige Schultern, offene Locken und war überhaupt vollkommen. Wenn sie sich einbildete, ein besonderes Versteck hinter Säulen gefunden zu haben, so übersah ich sie absichtlich, lief an ihr vorbei, auf die Gefahr hin, für einen Dummkopf gehalten zu werden!
Ihr Glück war mir eben damals alles.
Eines Abends hörte mich meine wunderschöne Mama in meinem Bette schluchzen und weinen.
»Was ist denn los?!«
»Rosie Mischischek hat mir beim Weggehen heute nicht die Hand gegeben!« Das sprach sich herum. Frau Mischischek machte ihrem Töchterchen sanfte Vorwürfe: »Einmal interessiert sich jemand ernstlich für dich, und du reichst ihm beim Weggeh'n vom Theseustempel nicht einmal dein Händchen?!«
Rosie hatte am nächsten Tag, obzwar es nur ein gewöhnlicher Wochentag war, das grüne seidene Kleid an mit den schmalen schwarzen Samtmaschen, nackte, rundlich-eckige Schultern, offene Locken, und ihr gewöhnliches süßes Wildkatzengesichterl.
»Du hast dich bei deiner Mama beklagt, daß ich dir gestern beim Weggeh'n nicht die Hand gegeben habe?! Da hast du sie heute zweimal, so, und für morgen gleich auch, wenn ich vergessen sollte, dummer Bub!«
Sie sah wunderbar erregt aus, eine kleine Furie, noch lieblicher, aparter als sonst. Sie sagte: »Mit dir spiele ich überhaupt nicht mehr ›Verstecken‹, du gehst absichtlich an mir vorüber, obwohl du mich ganz genau gesehen haben mußt! Glaubst du, daß das lustig ist für mich? Dummer Bub! Geh' und tratsche es wieder!«
So endete meine »erste, zarteste, rücksichtsvollste Liebe« in meinem zwölften Lebensjahre. Alle späteren waren ebenso! Nein, ärger, kränkender."
Ja - möchte man da sagen - so ist es manchmal und wem ist so etwas noch nicht passiert ?
Michael Heltau entließ uns nach anderhalb Stunden mit den wunderbaren Zeilen von Arthur Schnitzler über die Unendlichkeit des blauen Himmels und die Ewigkeit der Liebe.
Ein würdiger Abschluß unseres Urlaubs...
Foto: mv 06/2009
Ich habe geahnt, daß dieser Kaffeehausabend ein Erfolg wird. Mal davon abgesehen, daß meine drei Wien-Aufenthalte auch immer mit der Suche nach alten Kaffeehäusern verbunden war, sprach ja der Name Heltau schon für Qualität.
AntwortenLöschenDer Beitrag gefällt mir sehr gut, irgendwie passt alles. Auch mit meiner heutigen Stimmung. Ich wünsche Euch, dass die "Unterwegs- gewesen-sein-Empfindung" noch lange anhält. Ich freu mich auch schon wieder auf Deine schärferen Beiträge-also- Bis(s) später...
AntwortenLöschenÜbrigends - DBDDHAKP - da musste ich so lachen - das war verschüttet in meinem Kopf, aber als Görlitzer Kinder haben wir das mit großer Lust von uns gegeben.
Ich hatte zwar immer gedacht, die Redewendung kommt aus dem tiefsten Wedding der 20er Jahre. Aber da die meisten Berliner sowieso aus Sachsen oder ehemaligen sächsischen Gebieten kommen - meine Vorfahren machen da keine Ausnahme, kamen sie doch aus dem bis zum Wiener Kongress sächsischen Spreewald und aus Anhalt- Zerbst- wundere ich mich jetzt nicht mehr, dass Ihr den Spruch kanntet!
AntwortenLöschen