Uns fehlen andere Tafeln.
Uns fehlt diese eine:
Hier lebte ein Mann,
der sich geweigert hat,
auf seine Mitmenschen zu schießen.
Ehre seinem Andenken.
Uns fehlt diese eine:
Hier lebte ein Mann,
der sich geweigert hat,
auf seine Mitmenschen zu schießen.
Ehre seinem Andenken.
Kurt Tucholsky, Die Tafeln, 1925
Gar Seltsames geschieht manchmal im Land. Seltsam sind die Ratschlüsse der Politik und fast noch seltsamer sind die Berichte der Medien darüber. Ein gutes Beispiel ist da der bevorstehende 70. Jahrestag des Beginns des II. Weltkrieges am 1. September 1939 und in diesem Zusammenhang der Umgang mit den Deserteuren der faschistischen Wehrmacht:
Das Schweigen über die Opfer der NS-Militärjustiz und ihr Schicksal wurde in Westdeutschland des Wirtschaftswunders und der Wiederbewaffnung nicht gebrochen, die Unrechtsurteile der Kriegsgerichte nicht revidiert, die Verantwortlichen für tausende von Todesurteilen nach dem Krieg nicht zur Rechenschaft gezogen. Autoren des nationalsozialistischen Kriegsrechts schreiben die Geschichte der Militärjustiz selbst und die Verurteilten galten weiterhin als vorbestraft. Die Blutrichter wurden nicht belangt. Die Nazis wurden gebraucht - für Wiederaufbau, Wiederbewaffnung und Kampf gegen den Kommunismus.
Der Nazi-Marinerichter Hans Filbinger beispielsweise war nach den erhaltenen Strafverfahrenslisten an mindestens 234 Marinestrafverfahren beteiligt. In 169 Fällen war er Vorsitzender Richter oder Untersuchungsführer und damit für das Urteil bzw. die Strafverfügung direkt verantwortlich. In 63 Verfahren trat er als Ankläger auf. In sechs Fällen wurde die Todesstrafe verhandelt. In drei davon vertrat Filbinger die Anklage, in zwei Fällen fällte er als Vorsitzender Richter Todesurteile. Noch im Januar 1945 beantragte er für den Matrosen Walter Gröger die Todesstrafe. Auf einen anderen Fall nahm der eigentlich Unbeteiligte von außen Einfluss. Diese Mitwirkung wurde erst im Zusammenhang der Filbingeraffäre 1978 aufgedeckt. Dabei wurden nur bis dahin veröffentlichte, vielfach unvollständige Gerichtsakten berücksichtigt. Etwa 40 weitere Akten sind bis heute unter Verschluss. Filbinger brachte es bis zum Ministerpräsidenten von Baden-Würtemberg und fühlte sich bis zum Tode völlig unschuldig. Sein Nachfolger Oettinger hielt noch 2007 eine ehrende Rede für Filbinger, musste sich aber anschließend entschuldigen, da es inzwischen vielen Menschen nicht mehr gleichgültig war, wie man mit dem Schlachtvieh der Wehrmacht umgesprungen war.
Auch früher schon gab es Initiativen: Der heute in sein Heimatland zurückgekehrte türkische Bildhauer Mehmet Aksoy schuf zum Beispiel schon 1989 ein Denkmal für den unbekannten Deserteur. Es ist bei dem politischen Klima in der Nazi-durchseuchten Bundesrepublik kein Wunder, dass die beantragte Aufstellung des Denkmals auf dem Friedensplatz in Bonn scheiterte - an den Mehrheitsverhältnissen im Bonner Stadtparlament. Mit gerichtlicher Hilfe konnte nur die Enthüllung für eine Stunde und auf einem Tieflader durchgesetzt werden. Das Denkmal fand zunächst an verschiedenen Orten in Bonn Asyl.
Nach der Wende setzte sich der "Freundeskreis Wehrdiensttotalverweigerer" in Potsdam für eine Aufstellung des Denkmals in Bonns Partnerstadt Potsdam ein. Die Mehrheit der Stadtverordneten stimmte für seine - zunächst nur zeitweilige - Aufstellung auf dem zentralen Platz der Einheit. Anfangs kam es zu Vandalismus am Aufstellort. Unbekannte verrußten das Denkmal mit einem größeren Feuer und sprayten Farbe auf den Stein. Inzwischen strahlt das Denkmal wieder in hellem Weiß und auch der obligatorische Streit hat sich gelegt. Die Potsdamer Stadtverordneten-Versammlung beschloss mit der überwältigenden Mehrheit von 100 zu 8 Stimmen die dauerhafte Aufstellung des Denkmals auf dem Platz der Einheit. 1997 wurde zwischen dem Verein zur Förderung der Friedensarbeit als dem Besitzer und der Stadt Potsdam ein Vertrag über den Verbleib des Denkmals in der Brandenburger Landeshauptstadt abgeschlossen. Im Rahmen der Umgestaltung des Platzes der Einheit aus Anlaß der Bundesgartenschau 2001 hat das Denkmal einen zentralen Platz im landschaftsgestalterischen Konzept erhalten.
Bedenkt man diese Querelen und Irrfahrten, hat das Bonner Denkmal erst im Jahre 2001 seinen endgültigen Platz gefunden- im Osten Deutschlands, der durch Nazismus, Krieg und Nachkrieg am meisten gebeútelten Region Deutschlands. Und um der Wahrheit die Ehre zu geben, waren die Potsdamer nicht die ersten mit einem Deserteursdenkmal. Bernau war schneller: Das Deserteursdenkmal von Bernau bei Berlin steht seit 1998 unverrückbar an der Bernauer Stadtmauer, an der Lücke, wo früher das Mühlentor war, dicht neben dem Heldendenkmal von 1870/71. Gerade mit dieser gewollten Nähe bringt es hoffentlich einige Menschen zum Nachdenken. Auch über die Bundeswehreinsätze im Kosovo und in Afghanistan.
Das richtig Verblüffende kommt allerdings erst jetzt. Der "Kölner Stadtanzeiger" brachte am 27. April 2009 folgende Meldung, bei der sich wieder einmal meine Zehennägel kräuselten:
"Als eine der ersten deutschen Städte würdigt Köln die Opfergruppe der Wehrmachts-Deserteure und zivilen Kriegsverweigerer mit einem Denkmal. Es solle an Menschen erinnern, "auf die wir stolz sein dürfen", sagte der Kölner Kulturdezernent Georg Quander am Montag im NS-Dokumentationszentrum. Dort wurde der Siegerentwurf des Wettbewerbs zur künstlerischen Gestaltung des Denkmals präsentiert. Erst 2002 hatte der Bundestag die Urteile des NS-Unrechtsregimes aufgehoben und nach 1945 diskriminierte "Fahnenflüchtige" rehabilitiert. Bisher gibt es in Deutschland 15 Gedenkstätten für Deserteure, von denen bis auf eines in Berlin-Charlottenburg alle durch Privatinitiative zustande kamen und nicht im öffentlichen Raum zu sehen sind."
So, so. In Deutschland also. 15 Gedenkstätten. Und keine im öffentlichen Raum. Außer in Charlottenburg. Na ja, Westberlin kann man wohl gerade noch als Deutschland durchgehen lassen...
P.S.: Am morgigen Gedenktag zum Tag der Befreiung findet von 17:00 bis 18:30 eine Gedenkstunde u.a. auch am Bernauer Deserteurdenkmal statt.
Du legst den Finger in die Wunde.
AntwortenLöschenDas Denkmal in Charlottenburg aus den 90er Jahren sollte allerdings etwas ausführlichger gewürdigt werden.
Es befindet sich in einem Waldstück neben der Waldbühne, das sich bis zu den Rudower Polizeikasernen erstreckt.
Hier wurde eine unbekannte Zahl von Wehrmachts-Deserteuren erschossen.
Das Den kmal besteht aus einer Vielzahl von Spiegel-Tafeln, die im Wald und am Weg verstreut aufgestellt wurden.
Manche tragen kurze Inschriften, die auf den Skandal der verschleppten Rehabilitierung aufmerksam machen.
Zum Abschreiten des Geländes braucht man vielleicht eine halbe Stunde - jedes Schild steht für eine dokumentierte Exekution - die Gräber der Opfer sind unbekannt.
Hartmut Lindner, Senftenhütte
Herzlichen Dank für diesen Hinweis. Ich muss da einfach mal hin und mir das Denkmal endlich ansehen. Berlin ist eben sehr groß geworden.
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