Wie schon berichtet, habe ich Ende der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts auch einmal bei einer Studentenzeitung mitgearbeitet - dem "Kulinarium". Andreas P. und ich hatten im Sommer vor einem Jahr in Altenhof beschlossen, die Redaktion über siebzehn Jahre nach dem Ende der Zeitung wieder einmal zusammen zu rufen. Es war nicht einfach, wenigstens den harten Kern im Internet und mit GPS ausfindig zu machen, aber letztlich standen sechs ehemalige Redakteure auf meiner Einladungsliste. Dabei bedauere ich immer öfter, dass die meisten Frauen bei der Heirat den Namen des Ehemannes annehmen, denn von unseren Redakteurinnen konnte ich leider niemanden aufspüren.
Sei es wie es sei: Wir waren dann Sonnabend vor einer Woche fünf ältere Herren in Altenhof. Krankheit, dienstliche Verpflichtungen und ein Auslandsaufenthalt hielten die anderen drei von unserer lustigen Runde fern. Fragt man mich nach einer Einschätzung der Redaktionssitzung, muss ich ohne zu dick aufzutragen bemerken, dass es wie damals in den Achtzigern war. Die Jungs haben sich kaum verändert und wir fühlten uns daher auch alle sofort heimisch. Als wir dann nach Stunden auseinandergingen, stand der Redaktionsbeschluß fest: Diese Treffen wird es ab jetzt jährlich geben.
Wer oder was war nun das "Kulinarium"? Das "Kulinarium" als Zeitung zu bezeichnen, wäre zu tief gestapelt, obwohl wir uns nie so nennen durften. Offiziell gab es nur eine Zeitung an der Berliner Humboldt-Universität, nämlich die Zeitung mit dem Namen der Universität, die einmal monatlich herauskam und die die Studenten kaum ansprach. Das Kulinarium erschien ebenfalls monatlich, war das Sprachorgan der Freien Deutschen Jugend an der Sektion Nahrungsgüterwirtschaft und Lebensmitteltechnologie der Humboldt-Uni und kümmerte sich vor allem um die Belange der Studenten. Angefangen im September jeden Jahres mit wichtigen Hinweisen für die "Neuen" aus dem ersten Studienjahr, über Freizeittipps, Berichten vom Sektionsleben, Empfehlungen zu den Vorlesungen und Seminaren aus studentischer Sicht, Vorstellung von Praxispartnern der Industrie, Berichten von Absolventen aus der Praxis, Interviews mit Rockgruppen, Gratulationen zum Geburtstag oder zur Verteidigung der Promotionsarbeit, Sporttipps, Kochrezepten, Serien zu historischen Gebäuden der Universität bis hin zur Veröffentlichung meist unerwünschter Hinweise von Studenten an den Lehrkörper zur Verbesserung der Qualität unserer Lehrveranstaltungen schrieben unsere Redakteure über das bunte geistige, kulturelle und gesellschaftliche Leben an der Universität und in der Hauptstadt. Es gab Kreuzworträtsel und immer wieder Diskussionen über die Verbesserung des Studiums an unserer Sektion.
In unserer Serie "Uni- eine höhere Schule ?" diskutierten wir lange Zeit die Qualität der Lehre insgesamt und der einzelnen Lehrveranstaltungen, gaben Studenten Raum für ihre Hinweise und ihre Vorschläge und ließen in der Diskussion natürlich auch interessierte Dozenten zu Wort kommen. Da wir (siehe oben) keine Zeitung sein durften, gab es unser jährliches Pressefest ironischerweise mit einem " L" am Wortende, also einem kleinen Pressefest. Unsere Redakteure spiegelten das bunte Bild der Sektion wieder. Newbees, gestandene Studienjahrgänge, Assistenten und Forschungsstudenten und selbst Universitätsmitarbeiter wirkten mit. Und ich kann ohne jede Übertreibung behaupten, dass uns, der Redaktion, die Zusammenstellung jeder Nummer unserer Zeitung wahrscheinlich mehr Spaß gemacht hat, als dem Leser das spätere Lesen.
Obwohl wir duchaus gutmütig mit unseren Oberen umgingen, wurden wir von Anfang an nicht nur von der SED-Kreisleitung der Universität misstrauisch beäugt. Wenn wir es wagten, einzelne Bereiche der Lehre sanft zu kritisierten, kam sofort die Frage, ob wir das denn auch dürfen. Trotzdem gab es auch immer wieder Leute aus dem Lehrkörper oder in leitenden Positionen außerhalb der Uni, die uns mit Zuspruch und Einfluss unterstützten.
Noch etwas zur Statistik: Die erste Nummer des "Kulinarium" erschien im Januar 1978 noch auf Ormig. Bereits im April 1978 konnten wir unsern Lesern stolz die erste, im Kleinoffsetverfahren gedruckte Ausgabe mit zehnmal im Jahr etwa 700 Stück und zum Einzelverkaufspreis von 60 Pfennig präsentieren. Nach einigen kleinen Auseinandersetzungen mit dem damaligen ersten Sekretär der SED-Kreisleitung stand das gesamte Projekt bereits im Sommer 1980 auf der Kippe, als man uns hochoffiziell der Pornographie bezichtigte. Wir hatten einen Messeprospekt einer westdeutschen Kabelfirma als Grundlage einer Fotomontage für ein Sommerposter benutzt. Das auf dem Poster abgebildete Modell zeigte etwa 30 Prozent ihres Busens. Wirklich nur des Busens, also der Vertiefung zwischen den weiblichen Brüsten!
Man scheute aber das endgültige Verbot, wahrscheinlich weil man mit Protesten nicht nur der Studenten rechnete. Die im Jahre 1983 einsetzende Sparpolitik der Regierung wurde dann als Vorwand für die Einstellung der Zeitung genutzt. Man musste Papier sparen. Die für lange Zeit letzte gedruckte Ausgabe erschien im März 1983. Nebenbei: Auch die FDJ-Zeitung "Forum", die sich ebenfalls -. allerdings in größerem Rahmen - an Studenten und junge Hochschulmitarbeiter richtete, erschien ab 1983 nicht mehr.
Ab 1983 gab es das "Kulinarium" dann in unregelmäßigen Abständen und kleiner Auflage auf Fotopapier. Mit einer "Kulinarium-Diaschau Rund um den Thaer" meldete sich die Redaktion ebenfalls regelmäßig zu Wort.
Ab Mai 1987 gab es dann wieder gedruckte Ausgaben und ab 1.1.1989 sogar eine Lizenzurkunde für unsere Zeitung vom Magistrat von Berlin.
Was der sogenannte Unrechtsstaat und die SED nicht schafften, erledigte die Hochschulpolitik des Berliner Senats nach dem Anschluss an die BRD so quasi nebenbei gleich mit: Da die Sektion Nahrungsgüterwirtschaft/ Lebensmitteltechnologie der Humboldt-Universität von der TU Berlin geschluckt wurde - von einer Fusion, die gleichberechtigte Partner voraussetzt, möchte ich an dieser Stelle nicht sprechen - erschien die letzte Ausgabe unseres "Kulinarium" im November 1991. denn an einer freiheitlich-demokratischen Universität westlicher Prägung brauchte man offensichtlich keine Zeitung als Stimme der Studenten. Und da in dieser Gesellschaftsordnung alles seine betriebswirtschaftliche Ordnung haben muss, stellte die letzte Redaktion ihre Arbeit mit Abschlussprotokoll und einem finanziellen Überschuss von über 3000 DM offiziell am 27. März 1993 ein.
Ehre ihrem Andenken.
Zum Bild: Garantiert kein Busen - Sommerposter 1981
Danke an Andreas P. für die geschichtlichen Daten.
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