Die vergangene Woche bot wieder die Möglichkeit darüber nachzudenken, was von einem Menschen bleibt. Der Morgen hatte besonders trübe angefangen, gegen Mittag saß ich mit einer ehemaligen lieben Kollegin auf einer Friedhofsbank im Berliner Stadtbezirk Pankow und plötzlich brach die liebe alte Sonne mit Urgewalt durch die Wolkendecke. Wir warteten auf den Beginn der Trauerfeier für unsere Christa, dem guten Geist unserer Abteilung im damaligen Institut für Agrarökonomie der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften der DDR. Das mit der Sonne war wieder typisch für Christa, da wo sie war, war es nie lange trübe, Optimismus und Freude kehrten ein. Heute mussten wir uns von ihr verabschieden.
Christa war 1922 in den damaligen deutschen Ostgebieten geboren worden, 1944 floh ihre Mutter mit ihr und den drei Geschwistern nach Leipzig. Der Vater war in Kriegsgefangenschaft, die Mutter schlug sich mit den vier Gören durch. Ein Schicksal, das die kleine Christa nicht kleinkriegte. Sie lernte einen richtigen Beruf in der Landwirtschaft, sie heiratete, der Nachwuchs kam, langsam kam ein wenig Wohlstand, man zog nach Berlin in eine vernünftige Wohnung und Christa fing wieder an zu arbeiten. Sie wurde die gute Seele an unserem Institut.
Manch einer meint, die Ökonomie wäre eine Wissenschaft, was nicht stimmt. Und obwohl meine Doktorarbeit sich in wesentlichen Teilen mit einem ökonomischen, betriebswirtschaftlichen Thema beschäftigte, war ich mein Leben lang diesen Themen eher abgeneigt. Es gibt jedoch heute noch Zeiten, in denen ich die Sumerer dafür verfluche, dass sie damals vor etlichen 1000 Jahren die Zahlen und das Geld erfunden haben. Seither, seit etlichen 1000 Jahren, versuchen Ökonomen die Wirklichkeit mit ihren meist eigenwillig interpretierten ökonomischen Gesetzen zu vergewaltigen. Ich muss zugeben, dass diese Spezies an unserem Institut stark vertreten war. In ihnen paarte sich die unbändige Kraft des Wortes mit dem Willen, den realen Zahlen körperliche Gewalt anzutun und einem tief sitzenden gläubigen Wissen. Der Sozialismus würde siegen.
Christa nun wiederum schaffte es fast immer, diese sogenannten Wissenschaftler auf den Boden der sozialistischen Tatsachen in der Landwirtschaft der DDR zurückzuholen. Meist genügte dafür nur ein einziger Satz, der Phrasendrescher zerplatzte mit leisem Pffff und wir jungen Kollegen versuchten, das heimliche Grinsen über den Superökonomen zu verbergen. Uns jungen Leuten am Institut war sie nicht nur auf diese feine, hintergründige Art, sondern auch privat immer eine Stütze und Freundin.
Nun hat sie uns im zweiundneunzigsten Lebensjahr verlassen. Sie liegt wieder neben ihrem Günter und ich stelle mir zum wiederholten Male die Frage, was von einem Menschen bleibt.
Von der kleinen Christa ein ganze Menge ...
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