... und leider muss jede Generation ihre Erfahrungen selber machen. So hat es niemand geglaubt, als man uns damals in der DDR immer wieder predigte, dass der Kapitalist nur an den Profit denkt. Es war doch alles so schön sauber in der Bundesrepublik und die Arbeiter fuhren größere Autos als bei uns. Oder dass die Regierenden im staatsmonopolistischen Kapitalismus nur die Geschäfte der Monopole besorgen. Aber die hatten doch für den Wohlstand der Bürger gesorgt, dass Zauberwort hieß "soziale Marktwirtschaft". Oder dass die industrielle Reservearmee der Arbeitslosen dazu dient, die Löhne zu drücken. Aber den paar Arbeitslosen ging es ja besser als den Arbeitern im Osten. So wenig war der Sozialismus stalinistischer Prägung in der sowjetischen Kolonie DDR eine Alternative, so wenig glaubte man den Bonzen noch, die sich auch nur in die eigene Tasche logen, sich vor allem bereicherten und in ihrer eingebildeten Weisheit auf das Volk herab sahen. Dann warfen einige westdeutsche Schlaumeier vor allem über Sachsen ein paar Tafeln West-Schokolade und einige Bananen ab und schon schrie das Volk: " Wir sind e i n Volk!" Es ist heute ein billiger Trost, dass die größten Schreihälse garantiert als erste von der grassierenden und bis heute anhaltenden Arbeitlosigkeit betroffen waren. Denn jetzt war ja nur ein Gesellschaftssystem übrig geblieben, man musste die eigenen Arbeiter nicht mehr ruhig stellen, die soziale Konkurrenz "Drüben" war weg. Und schon ging es los mit dem Sozial- und Bildungsabbau und der Profitmaximierung namens Globalisierung. So werden wohl in ca. 500 Jahren Archäologen die Ruinen unsere jetzt gerade geschlossenen Schulen ausgraben und sicher feststellen, dass es da einmal eine Gesellschaftsordnung gab, die wenigstens auf diesem Gebiet schon einmal viel weiter war.
Also, machen wir unsere Erfahrungen! Da müssen wir jetzt durch! Zwischendurch lesen wir ein bißchen und merken erstaunt, dass es auch früher schon Krisen des Kapitalismus gegeben hat und dass diese Krisen keine Erfindung der Kommunisten waren:
Die freie Wirtschaft
Ihr sollt die verfluchten Tarife abbauen.
Ihr sollt auf euern Direktor vertrauen.
Ihr sollt die Schlichtungsausschüsse
verlassen.
Ihr sollt alles Weitere dem Chef überlassen.
Kein Betriebsrat quatsche uns mehr herein,
wir wollen freie Wirtschaftler sein!
Fort die Gruppen – sei unser Panier!
Na, ihr nicht.
Aber wir.
Ihr braucht keine Heime für eure Lungen,
keine Renten und keine Versicherungen.
Ihr solltet euch allesamt was schämen,
von dem armen Staat noch Geld zu nehmen!
Ihr sollt nicht mehr zusammenstehn –
wollt ihr wohl auseinandergehn!
Keine Kartelle in unserm Revier!
Ihr nicht.
Aber wir.
Wir bilden bis in die weiteste Ferne
Trusts, Kartelle, Verbände, Konzerne.
Wir stehen neben den Hochofenflammen
in Interessengemeinschaften fest
zusammen.
Wir diktieren die Preise und die Verträge –
kein Schutzgesetz sei uns im Wege.
Gut organisiert sitzen wir hier ...
Ihr nicht.
Aber wir.
Was ihr macht, ist Marxismus.
Nieder damit!
Wir erobern die Macht, Schritt für Schritt.
Niemand stört uns. In guter Ruh
sehn Regierungssozialisten zu.
Wir wollen euch einzeln. An die Gewehre!
Das ist die neuste Wirtschaftslehre.
Die Forderung ist noch nicht verkündet,
die ein deutscher Professor uns nicht
begründet.
In Betrieben wirken für unsere Idee
die Offiziere der alten Armee,
die Stahlhelmleute, Hitlergarden ...
Ihr, in Kellern und in Mansarden,
merkt ihr nicht, was mit euch gespielt wird?
mit wessen Schweiß der Gewinn erzielt
wird?
Komme, was da kommen mag.
Es kommt der Tag,
da ruft der Arbeitspionier:
»Ihr nicht.
Aber Wir. Wir. Wir.«
Theobald Tiger (Kurt Tucholsky)
aus: "Die Weltbühne" , 4. 3. 1930, Nr. 10, S. 351
aus: "Die Weltbühne" , 4. 3. 1930, Nr. 10, S. 351
Quelle: "Rotfuchs" Nr. 12/2008
Grafik: " Straße des Erfolgs" , Gerd Altmann (www.pixelio.de)
Grafik: " Straße des Erfolgs" , Gerd Altmann (www.pixelio.de)
Tja, Krisen hatte der Kapitalismus schon immer, aber wenn ich die Jahreszahl 1930 lese, wird mir Angst auch vor den Auswirkungen dieser Krise.
AntwortenLöschenValli mach mal bei der Quelle aus der 2009 eine 2009, denn so schnell ist selbst der Rotfuchs nicht ;.). Hoffentlich liegt die Januarausgabe dieser Monatszeitung morgen in meinem Kasten.