Vom 9. bis 13. September waren M. und ich in London. Was für eine Stadt ! Für Leute wie mich - von's Dorf, nur ab und zu mal nach Berlin und dann nicht für lange und schnell wieder weg - war es anfangs echt nervend, fast tödlich. Als ich dann während der zweiten Nacht um 2:00 Uhr im lauten Hotelzimmer alle Londoner Taxis und Busse verfluchte, habe ich mich daran erinnert, dass ich vor ca. 35 Jahren mit Freuden wenigstens den linken großen Zeh geopfert hätte, wäre ich nur einmal nach London, Paris, Rom oder Wuppertal gekommen. (Nach Wuppertal möchte ich heute wirklich nicht mehr !). Prompt habe ich mich beruhigt und schlief danach ganz gut in unserem kleinen, etwas heruntergekommenden Hotel, das uns in seinen Grundrissen stark an Hugh Grant's Haus im Film "Notting Hill" erinnerte. In der ersten Nacht hatten wir ein noch viel kleineres Zimmer zum Hof, von dem aus wir gegen 22:00 Uhr den Chor der Fans aus dem Hydepark von der Lifeübertragung der "Last Night of the Proms" hören konnten. Wie dem auch sei: die Leute (Ägypter) waren sehr freundlich, das Frühstück zwar immer gleich, aber akzeptabel und in einer Großstadt sowie nur 500 m vom Bahnhof Paddington an einer Hauptstraße darf man eben keine idyllische Ruhe verlangen. Überhaupt Ruhe: Man hat den Eindruck, dass Ken Livingstons Fahrverbot in der inneren City keinerlei Veränderung gebracht hat, in jedem Fall fahren mehr Taxen, Busse und Vespas, was den Lärm natürlich nicht reduziert hat - im Gegenteil.
Also, lange nicht mehr hier gewesen- fast 10 Jahre. London hat uns trotzdem wieder erkannt. Es war genauso heiß wie damals, als wir meistens in Parks herumlagen und immer 2 l Wasser mit uns herumschleppten. Wasser brauchten wir auch dieses Mal, die Tube war immer noch fürchterlich aufgeheizt vom heißen Sommer, der Rasen in den Parks verbrannt wie zu Hause.
Neben dem Besuch eines Ärztekongresses in den Docklands wollten wir uns vor allem Kultur ansehen. Also, zuerst der Kongreß in einem riesigen Ausstellungszentrum j.w.d. vor der Stadt. Wie ist in Berlin doch alles klein und fast gemütlich ! Eintritt 1200 € nur für die Industrieausstellung. Wer will es uns verdenken, dass wir da etwas schummelten und als Mr. und Mrs. Pappadoukoulus (oder so ) über den Parcour schlenderten. Bei den Gesprächen mit Zulieferern haperte es zwar mit dem Griechisch, aber wir waren ja auch in England. Nachmittags mit der Dockland Light Rail zumTower Hill und erst mal in einen kleinen indischen Lebensmittelladen, denn die Preise für Erfrischungen auf dem Kongress waren ähnlich gigantisch wie der Eintrittspreis. Die erste Flasche Wasser verzischte nur so in unseren heißen Kehlen und als wir nach 2 min für den Kauf der nächsten wieder in den Laden gingen, fragte der Inder entsetzt: "What have you done with the water ?" Wir überzeugten ihn, dass wir es ganz schnell ausgetrunken hatten.
Tower: wie immer overcrowded, ich war noch nie drin. Touri-Scheiß! Dafür gegenüber in einem fürchterlichen Neubau phantastische Fish and Chips gegessen, was wir an unserem letzten Tag in London wiederholen mussten. Lieber als in den Tower in den Hydepark und das bunte Gewimmel der ca. 500 arabischen und indischen Nationalitäten beobachtet. Vieles für Deutschland unvorstellbar, z.B. der Freiluft-DJ auf einer Anlage, die mit einer Autobatterie läuft. Zur Musik tanzten dann die Skater auf dem Asphalt, ich hätte - trotz der RAP-Klänge- den ganzen Abend zusehen können. In D würden sie den DJ sofort verhaften, weil er keine GEMA-oder GEZ-Gebühren zahlt.
Nächsten Tag in die TATE Britain. Wie der Name schon sagt nur "britanische" Kunst ab dem 16. Jahrhundert: Gainsborough, Turner und Gainsborough und Turner. Trotzdem auch schöne Sachen, z.B. Turners Skizzenbücher, wenn er klein bleibt, ist er richtig gut. Nur seine Schinken sind kaum auszuhalten. John Constable mit einer schönen Ansicht von Brighton im 18. Jahrhundert. Eine wunderbare Marmorskultur einer schlafenden Nymphe von Loch Awe (Pommeroy) und das schöne Bildnis (Steer) der schönen Lady Hamilton, einer ehemaligen Prostituierten, von Lord Hamilton geehelicht, betrog sie ihn mit Lord Byron. Weltliteratur der Liebesgeschichten, über die heute noch jede alte Jungfer im Vereinigten Königreich dahinschmachtet oder sich empört. Wenn man bedenkt, dass das Modell schon über 160 Jahre in der Erde modert !!! Ein sehr frühes Werk von Peter Lely (1618-1680) , an dem mich vor allem die Augen der abgebildeten Dame faszinierten. Die modernen Künstler waren nicht so toll, lediglich ein Bild von Patrick Caulfield "Views of the Bay" (1964) gefällt mir, ansonsten: na ja. Eine Aktskulptur mit der sehr realistischen Darstellung eines weiblichen Geschlechtsteils hat hier sicherlich für Empörung gesorgt, man(n) kennt Besseres, vor allem von Reinhardt aus Basdorf.
Wir beschließen, uns die TATE Modern zu sparen, vor allem weil wir auf Beuys gern verzichten. Anschließend ziemlich müde. Noch einen ausgiebigen Spaziergang durch Covent Garden und dann völlig fertig im Hotel. Abends Essen beim Inder, der allerdings sehr mufflig ist. Das Essen ist gut und so verzeihen wir ihm seine Verständnislosigkeit gegenüber Touristen aus Deutschland, die sehr selten bisher indisch gegessen haben.
Am nächsten Tag dann die National Gallery. Viele Bilder wären zu nennen: Man zelebriert Rembrandts 400. Geburtstag oder Todestag, der entsprechende Saal ist überfüllt, vor allem mit britischen Rentnern, die offensichtlich jeden Pinselstrich erklärt bekommen wollen. Abseits der Berühmtheiten sind zu nennen die Malerin Le Bruns (Selbstporträt mit Strohhut) oder das Pferd in Lebensgröße auf grauem Hintergrund. Der Sinn dieser Darstellung erschließt sich uns erst zwei Säle weiter, als wir durch die Glastüren zurück blicken und plötzlich eine Skulptur zu sehen meinen. Wir kaufen den Katalog,der wirklich fantastisch ist, da er nicht nur die Bilder und die Künstler vorstellt, sondern auch Entstehungsgeschichten und Modelle - sofern bekannt. Abends dann ins Konzert in die Kirche St. Martin-in- the- field mit ihrer wunderbaren Akustik.
Am letzten Tag Victoria-und Albert-Museum - eine Schatzkammer. Viele Ausstellungsschwerpunkte, zum Beispiel Design, Silberwaren, Bronzeguss, Mode, auch eine Galerie der englischen Meister. Lustig ist vor allem die Ausstellung über Mode der sechziger Jahre, unsere Jugend hängt hier im Museum, z.B. die berühmten Papierkleider. Auch andere Erkenntnisse:m Wer wusste zum Beispiel, dass die DDR in den sechziger Jahren den Wartburg 311 unter dem Namen "Knight" nach England exportierte ? Später dann noch im Green Park, einen letzten Hauch von London. Gegen 16:00 Uhr Aufbruch nach Gatwick. Lange Schlangen am Schalter zum Einchecken. wegen eines Gewitters über Südengland starten wir mit anderthalb Stunden Verspätung und sind am Donnerstag früh zu Hause im Bett.
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Freitag, 29. September 2006
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