Dienstag, 5. Oktober 2010

Demokratie oder: Aktionen bei Nacht und Nebel

Nachdem ich im gestrigen Post auch auf ein Schreiben des Eisenbahnbundesamtes vom 30. September zu den Baumfällaktionen im Stuttgarter Schloßpark verlinkt hatte, bestätigen die Medien heute, dass das Eisenbahnbundesamt in der vergangenen Woche naturschutzrechtliche Zweifel wegen der Baumfällungen angemeldet hatte. Dennoch wurden in der Nacht zum Freitag unter massiven Polizeischutz 25 Bäume im Schlossgarten abgeholzt. Bei den Räumungsaktionen durch die Polizei wurden hunderte Demonstranten verletzt.

In dem Schreiben hatte das Eisenbahnbundesamt die Bahntochter DB Projektbau aufgefordert, ihr weiteres Vorgehen vor dem Fällen der Bäume aus Naturschutz-Gründen mit dem Regierungspräsidium Stuttgart, der Bezirksstelle für Naturschutz und Landschaftspflege Stuttgart und dem Bundesamt abzustimmen.

In dem der Nachrichtenagentur dpa vorliegenden Brief vom Donnerstag voriger Woche heißt es: "Im Zusammenhang mit den bevorstehenden Baumfällarbeiten im Schlosspark weise ich darauf hin, dass Sie mit den Baumfällarbeiten nicht beginnen dürfen (...)."

Das war kurz vor den Prügelexzessen der Polizei.

Unbedarfte Leser dieses Blogs werden nun wieder einwenden, dass es ja nur um einen lausigen Käfer geht - um den vom Aussterben bedrohten Juchtenkäfer, um ganz korrekt zu sein. Na und, ist er eben weg. Immobiliengeschäfte sind wichtiger als ein blöder Käfer. Mit Immobilien kann man auch in tausend Jahren noch Geschäfte machen. Mit einem Käfer nicht. Und eben diese Leser werden auch wieder monieren, dass ich mich überhaupt einmische. Immerhin ist Stuttgart rund 700 km von meinem Eigenheim entfernt. Ich bitte um Nachsicht: Diese Einmischerei habe ich doch nur von meinen westdeutschen Landsleuten gelernt, die mir nach wie vor fast täglich erzählen, wie ich noch vor 21 Jahren gelebt habe und auch heute nicht mit Ratschlägen für "richtiges" Denken sparen.

Ich bin durchaus bereit, den verantwortlichen Baumfällweltmeistern Absolution zu erteilen. Schließlich musste man die Bäume ja in der Nacht fällen, um die Baumschützer auf völlig demokratische Weise zu überlisten. Demokratie heißt wahrscheinlich, ganz schnell vollendete Tatsachen zu schaffen, damit kein Gericht der (bundesrepublikanischen) Welt eine Wiederherstellung des alten Zustandes verlangen kann. Sicherlich war auch keine Taschenlampe verfügbar und so mussten das Baumfällverbot geheim und der damit quasi verfügte Baustopp des Eisenbahnbundesamtes ungelesen bleiben...

5 Kommentare:

  1. Bei der ganzen Stuttgart 21 - Diskussion fällt mir irgendwie immer wieder eine Floskel ein, die ich irgendwo mal gelesen habe: "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus". Das steht, glaub ich im Grundgesetz in Artikel 21 Abs. 2.

    Da die betroffenen Politiker (ich meine nicht die baden-württembergischen Politiker, sondern nur, die deren Baufirmen direkt am Neubau des Bahnhofs beteiligt sind) sich in den Medien aufregen, dass die Proteste sich gegenüber demokratische Verfahren hinwegsetzen woll, stellt sich mir die Frage, was die Menschen in Stuttgart sonst tun sollten. In einem sog. Planfeststellungsverfahren nach dem AEG (Allg. Eisenbahngesetz) sind die Aspekte der Bürgerbeteiligung derart gering ausgestalltet, dass man unweigerlich an den Anfang des Romans "Per Anhalter durch die Galaxis" von Douglas Adams erinnert wird. Dass es sich bei dem Bahnhofsneubau um ein Planfeststellungsverfahren nach AEG in Verbindung mit den §§ 70 ff. VwVfG (Verwaltungsverfahrensgesetz) handelt, wird dadurch indiziert, dass das EBA auch für die Baumfällgenehmigungen zuständig ist, denn eine PFV entfaltet regelmäßig Konzentrationswirkung für andere Genehmigungen.

    Der Fachsimpelei nun genug. Die galt nur dazu eventuelle Besserwessis vorab zum Schweigen zu bringen.

    Kurz: Ein Rechtweg ist ihm faktisch versagt, da er kein Verletzung subjektiver Rechte geltend machen kann, da die Identifikation mit dem eigenen Gemeinwesen und die Verschwendung von Steuergeldern nicht einklagbar sind. Was soll der Bürger sonst tun, um derartige, sinnlose und sündhaft teure Projekte zu verhindern? Ihm bleibt nur der legitime Weg auf die Straße. Gerade in Erinnerung an die Wiedervereinigung vor 20 Jahren sollte es jedem gewiss sein, das das Recht auf Demonstration zu dem wichtigsten aller Grundrechte in einer Demokratie gehört. Oder habe ich mich da verhört, als die ganzen Wessis im Sommer wieder über den 17. Juli gefaselt haben?
    Micha

    P.S.: Der Zähler funktioniert nicht richtig. Ich sehe keine irische Flagge, obwohl ich regelmäßig lese.

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  2. Es sind unterschiedliche Sichtweisen. Die Schmott ohne Ende mit Landnahme machen, haben in unserer ökonomisierten Welt das Sagen. Nur, Bäume überleben die lächerlichen menschlichen Bauten, die heutzutage nur noch hingerotzt werden jahrhundertelang. Sie stehen einfach nur da ohne Profit zu erbringen, spenden Schatten, erfreuen das Auge mit ihrer Harmonie, ohne das irgendein Spekulant einen Nutzen davon hat. Das ist den Herrschaften doch ein Dorn im Auge. Alles muss zugekleistert werden mit unsäglichem Beton und Glas, kein grünes Hälmchen darf sich mehr rühren und nur, weil es Geldmessies gibt. Eine Welt, die zum Untergang verurteilt ist.

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  3. @Wir arbeiten dran! Vielleicht spricht sich irgendwann mal rum, dass man Geld weder essen noch atmen kann?

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  4. Da erwartest Du aber viel von der hiesigen Politikerkaste, die merkeln eher nichts und für sie wirds ja noch sprießen, das Geld.

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  5. @Jeanette:"merkeln" - köstlich,auf dieses Wortspiel wäre ich auch gern gekommen:-))

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