Donnerstag, 31. Januar 2019

Mein ganz persönlicher Brexit oder "Marie" Olde England

Als vor nunmehr fast genau 50 Jahren, am 30. Januar 1969, die Beatles ihr letztes öffentliches Konzert gaben, war ich etwas mehr als 16 Jahre alt. Ich war ein einigermaßen aussichtsreicher Nachwuchssportler, ich hatte gerade den Sportklub gewechselt, weil irgendein hohes Armeetier der DDR beschlossen hatte, dass es den Armeesportklub (ASK)  in Berlin nicht mehr geben sollte.  Also musste ich zum damaligen Turn- und Sportklub Berlin, Sektion Rudern, um meinen Sport weiter ausüben zu können. Nebenbei bemerkt, waren wir beim ASK so ziemlich im Auge des Orkans, d.h. man ließ uns komischerweise mit dem ganzen Ideologiegedöns in Ruhe. Dieses ewige Gesülze von Frieden und Sozialismus, diese lächerliche, weil immer wieder penetrant wiederholte Indoktrinierung kam erst beim TSC über mich, aber dafür dann mit ganzer Kraft.

Schon nach der Jugendweihe hatte ich mit meinem Jugendweihegeschenk, einem Kofferradio vom Typ Stern 6, angefangen, die BBC zu hören. Der Sender kam in Berlin über UKW und brachte  dreimal die Woche interessante Sendungen mit den neuesten Hits aus London. Moderator war meist Peter Sahla, wenn ich mich nicht irre ist er Österreicher und hat nach seiner Radiokarriere einige Reiseführer über Großbritannien geschrieben. Jedenfalls schrieb ich in meinem jugendlichen Unverstand an die BBC und bat um die Vermittlung einer Brieffreundschaft. So wurde Marie aus Liverpool meine englische Brieffreundin. Marie hat lange nicht verstanden, warum ich nicht einfach mal nach England kommen und sie besuchen konnte. Schon 1970 kam stattdessen ihr großer Bruder Tony einmal nach Ost-Berlin und ich zeigte ihm die Stadt. Irgendwann - ich musste zum Wehrdienst, fing an zu studieren und lernte meine Frau kennen- schlief die Geschichte ein.

Kurz vor Weihnachten 1989, die Mauer war gefallen, wollte ich den Weihnachtsbaum schmücken und fand neben dem Karton mit dem Baumschmuck auch einen Karton mit Briefen aus England. Maries letzte Adresse war von 1976. Ich schrieb ihr eine  Weihnachtskarte nach Liverpool. Drei Wochen später kam ein langer Brief aus Sheffield. Maries Eltern waren inzwischen dreimal umgezogen, die Royal Mail hatte sie trotzdem gefunden. Marie hatte geheiratet, zwei Söhne wie ich und lebte inzwischen in Sheffield. Und - ich mit Familie sollten sofort kommen!  Daraus ist eine richtige tiefe Freundschaft entstanden. Der jüngste von Maries Jungs hat im vergangenen Jahr geheiratet. Auch mit Bruder Tony und seiner Frau Jenny haben wir engen Kontakt, beide werden uns im April diesen Jahres besuchen.

Diese Freundschaften und die Liebe zu den Städten und Dörfern des Südens von England, von Wales oder Schottland werden  bleiben. Ebenso wie Shakespeare für mich der größte Dichter der Menschheitsgeschichte bleiben wird. Wir haben fantastische Menschen da drüben auf der Insel kennengelernt. Und die Küche dort ist wesentlich besser als ihr Ruf.

Vor 50 Jahren, am 30. Januar 1969, war Großbritannien noch kein Mitglied der EU. Und dennoch hat die von dort kommende Kultur der Pop- und Rockmusik sehr vielen jungen Menschen, die auch in der DDR nach einer frischen, unverbrauchten Jugendkultur suchten, das gegeben, was sie sich wünschten. Die Beatles, die Stones mit „Satisfaction“ und "Street fighting man", die Kinks, Hollies, The Who – alles ging ohne die EU. Dieses Erbe wird bleiben, auch wenn die Briten frei nach Lennon/McCartney  „Get Back“ sagen und unsere Politiker mit Weltniveau aus der Uckermark, Würselen oder Luxemburg sie mehr oder weniger weg geekelt haben. 

„Don’t let me down“ war der zweite Titel, den die Beatles damals am 30. Januar vor 50 Jahren auf dem Dach ihres "Apple"-Firmensitzes an der Londoner Savile Row spielten – der Wunsch ist bereits erfüllt, auch ohne EU. Dank  "Marie" Olde England und unseren anderen Freunden auf der Insel....

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