Montag, 31. Januar 2011

Nachbarn

Neulich war mal wieder schönes Wetter hier in Brandenburg und ich hatte einen blöden Brief vom Abwasserverband erhalten. Neuerdings kümmern die sich ja sogar noch um den Tau, der jeden Morgen fällt. Er wird pro Quadratmeter Grundstücksfläche geschätzt - normalerweise gehen die Bonzen dort von etwa 30 Kubikmeter pro Quadratmeter und Jahr aus - und dann wird eine saftige Sonderabgabe erhoben.

Jedenfalls fragte ich den Nachbarn, ob er auch so einen Brief erhalten habe und er erzählte mir von seinen ganz speziellen Querelen mit diesem wahrscheinlich von Gott gesandten, aber inzwischen offensichtlich gottverlassenen Beamtenpack. Ich stellte dann laut, wie ich immer so bin, fest, dass wir mit der Wende 1989 vor allem den Wunsch verbunden hatten, mal raus zu kommen aus dieser größten DDR der Welt. Den übrigen Nonsens wie zum Beispiel Staatsverschuldung, Arbeitslosigkeit, hinkende Sozialkassen, unmäßige, blöde und koksende Politiker, den Amtsschimmel, Dieter Bohlen, Hirnis im Dschungelcamp und das Finanzamt hätten sie ja alles behalten können!

Ich glaube sowieso, dass eine Art unbändiger Reisewunsch für die meisten damals der entscheidende Grund dafür war, dass die Wende begrüßt oder zumindest nicht abgelehnt wurde. Diese Isolationshaft gegenüber allem aus dem Westen war es vor allem, die uns langsam aber sicher blödsinnig machte. Was haben wir damals als Jugendliche alles angestellt, um dem wenigstens ideell zu entkommen: Ich kann mich an eine Klassenkameradin erinnern, die sich mit ungefähr 70 Brieffreunden und – freundinnen in aller Welt schrieb, ich selber brachte es nur auf 5 vorwiegend hübsche, junge Mädchen aus England, der BRD, Ungarn, der Schweiz und Burma, denen ich nach und nach meine (zwangsweise) platonische Liebe gestand und die ich alle fünf sofort und gleichzeitig geheiratet hätte, sogar die aus der Schweiz, wenn – ja, wenn. Dazu kam noch, dass man auch östlich bis südöstlich der Oder immer Deutscher zweiter Klasse war, weil man kein Westgeld hatte. Das mit dem Deutschen zweiter Klasse hat sich mittlerweile etwas verlagert – ins Inland.

Mein Nachbar ergänzte dann nur noch, dass er persönlich sich auch ein paar Bananen und ein vernünftiges Auto gewünscht hatte. Darüber würde ich nicht streiten, so wie man überhaupt nicht mit seinem Nachbarn streiten sollte. Wenn man sich mit seinem Nachbarn aber partout nicht verträgt, wenn dieser gemeine Mensch nur Schlechtigkeiten über mich verbreitet, so dass selbst die anderen Nachbarn mich nicht mehr grüßen, wenn er auf mein Grundstück kommt, mich bestiehlt, mein Eigentum zerstört - dann baue ich einen Zaun.

Ganz so einfach war es mit der Mauer sicher nicht, aber der Sieger der Geschichte sollte doch nicht immer nur so tun, als hätte er seine Sabogenten und Agione – so nannten wir damals in unserem jugendlichen Slang diese Leute – nur mit Bananen und zum Zuckerwatte verteilen zu uns geschickt. Insofern war die Mauer nicht schlecht: Wir hatten im Wesentlichen unsere Ruhe vor dem Gesindel, das uns jetzt schon seit über 20 Jahren aus Richtung Westen heimsucht.

Der wesentliche Fehler der DDR war das Eingesperrtsein mit all seinen Konsequenzen – den Minen am Zaun, den Kalaschnikows und dem Bewusstsein, dass du dir „drüben“ frühestens im goldenen Alter von 65 Jahren ansehen könntest. Aus heutiger Sicht hätte ich als Erich für jeden DDR-Bürger zuerst eine dreijährige Wanderschaft im Westen angeordnet. Ich schätze, nach spätestens einem halben Jahr würden die meisten wieder vor der Tür gestanden haben mit genau dem gleichen Gesicht, wie sie heute auf dem Arbeitsamt Leipzig –Süd oder in Berlin-Marzahn im Wartezimmer sitzen. Nun ja, „hätte“ und „könnte“. Diese ganze Diskussion bringt uns nicht mehr weiter, manche meinen, eine historische Chance der Geschichte wurde vertan.Wer weiß? Aber Chancen gibt es immer.

Leider bin ich nicht so abgeklärt, um meine letzten 58 Jahre mit stoischer Abgeklärtheit zu betrachten. Meistens geht mir der Hut hoch, wenn ich Untersuchungen von selbsternannten DDR-Spezialisten aus Castrop-Rauxel oder so (jedenfalls möglichst weit weg !) lese, die wirklich ganz genau wissen, wie es damals war.So vor 1990 und drum herum.

Der Sieger schreibt wie immer die Geschichte, auch wenn ich schon kurz nach der Wende ausgerechnet in der so genannten Heldenstadt Leipzig das Graffiti las: Der Kapitalismus hat nicht gesiegt, er ist nur übrig geblieben...

(leicht überarbeitet aus einem Textfragment vom Sommer 2004 mit dem Titel "WIR WOLLTEN DOCH NUR EIN BIßCHEN RAUS... DER GANZ KLEINE WENDE-ROMAN" )

1 Kommentar:

  1. Ja, so war's. Ich hatte eine unbändige Sehnsucht nach Paris fahren zu können. In den vielen nassen und kühlen Sommern wollte ich auch unbedingt in die Sonne, blauen Himmel sehen ... Und die kurze Zeit des Oktobers 1989 war so erfrischend. Da dachten die meisten nicht daran, die DDR aufzugeben. Bei den Montagsdemos Anfang November kam das erste Mal der Ruf auf "Wir sind EIN Volk". Ich überlegte, ob ich das eigentlich wollte und ging nicht mehr zu den Demos. Am Rande der Demo tummelten sich damals in Leipzig im November die rechtsradikalen Parteien und die CDU, Aufkleber wurden verteilt und anderer Schnickschnack. Letzten Herbst habe ich in einem unserer Stadtteilen an einem Altbauhaus ein Plakat gesehen: "Sind wir noch demokratisch? Ich weiß nicht!" Für mich war das der Ausdruck einer tiefen Frustration und Hoffnungslosigkeit.

    PS: Übrigens war ich noch nie in Paris, habe jetzt auch keine Lust drauf. Aber ich könnte, wenn ich wollte!

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