Sonntag, 28. Juli 2019

Ruderer bleibt Ruderer

Dietmar Meinert  / pixelio.de
Ich weiß nicht, was ein Leichtathlet, z.B. ein 100-m-Läufer, empfindet, wenn er auf seinem Startblock kniet und versucht, das Ziel des Wettkampfes zu fixieren. Aber ich weiß, was es bedeutet, wenn man mit einem Rennboot am Startblock einer Regattastrecke eingeschwommen ist und sich kurz vor dem Start noch einmal im Boot umsieht. Da liegen 2000 Meter vor dir, die Sonne flimmert auf dem Wasser, an Ziel warten Zuschauer und bereits bei 1000 Meter - in Grünau beim alten Sportlerdenkmal - stehen die ersten Fans, vielleicht die gerade aktuelle Flamme und eventuell der Trainer. Es geht um alles, um die Meisterschaft, um das Aufrücken in eine höhere Leistungsklasse oder um einen Start im Ausland. Das alles schießt dir durch den Kopf, bevor der Starter sein Signal gibt. Zu meinen Zeiten hieß dieses Kommando noch "Êtes-vous prêt - partez !", da der internationale Ruderverband französisch sprach. Auf Deutsch hieß es profan: "Sind Sie bereit - los !" . Dass man später die internationalen Kommandos anglisieren musste ist traurig.

Zweitausend Meter: Ungefähr 6,0  bis 7,0 Minuten im Einer oder auch im Achter. Zweitausend Meter der Selbstüberwindung, im Einer noch einmal so schwer wie im Mannschaftsboot, denn im Einer ist man immer allein.


Klaus-Peter Wolf /pixelio.de
Nun ist und war Rudern kein Massensport. Man braucht teure Boote, Bootshäuser und lange Kerle oder Mädchen dazu. "Ein Sport wie dieser, der harte Arbeit und wenig Ruhm bedeutet, aber trotzdem von Jahrhundert zu Jahrhundert unverändert beliebt ist - also ein solcher Sport muss etwas haben, dass gewöhnliche Menschen nicht sehen können, außergewöhnliche aber schon." * 

Nichts hat mich in meinem Leben mehr geprägt, als die sechs Jahre Leistungsrudern, vor allem in der Nationalmannschaft der Junioren  meines Heimatlandes. Viele meiner in diesen Jahren erworbene Charaktereigenschaften würden Psychologen heute wahrscheinlich als autistisch einordnen. Dabei resultieren sie nur daraus, dass ich meistens im Einer, dem sogenannten Skiff, saß und mein eigenes Ding machen musste. Oder glücklicherweise machen konnte. Strategie, Taktik, Ausdauer, Krafteinsatz - immer hellwach den Gegner im  Auge behaltend, mit dem man an Land oft befreundet war. So blieb es mein Leben lang. Ich hatte stets das Ziel im Auge. Später war es meist weiter als zweitausend Meter entfernt und Kraft und Ausdauer haben manchmal nicht gereicht. Dafür klappte es dann im nächsten "Rennen". Und um nochmals einen  sehr erfolgreichen Menschen zu zitieren, der etwas von der Materie des Ruderns verstand wie kein anderer: " Rudern ist eine große Kunst, die großartigste Kunst, die es gibt. Es ist eine Symphonie der Bewegung. Wenn jemand gut rudert, kommt das einem Idealzustand nahe. Und wer einem solchen Idealzustand nahe ist, rührt an das Göttliche, das Innerste des Menschen. An die Seele." 
... Harmonie, Gleichgewicht und Rhythmus, diese drei Dinge begleiten einen durch das ganze Leben. Ohne sie gerät die Zivilisation aus den Fugen. Und deshalb kann ein Ruderer, wenn er ins Leben hinausgeht, sich behaupten und mit dem Leben zurecht kommen. Er hat das beim Rudern gelernt..." *


* Die Zitate stammen aus dem Buch "Das Wunder von Berlin" von Daniel James Brown und sind von George Yeoman Pocock, der in den USA der 20er bis 40er Jahre für seine hervorragenden Rennboote bekannt war.


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