Dienstag, 29. April 2014

Wahlbenachrichtigungskarten

Am 25. Mai finden die Wahlen zum Europäischen Parlament, zum Barnimer Kreistag, zur Stadtverordnetenversammlung der Stadt Bernau und zum Ortsbeirat in Schönow statt. Da man unser angestammtes Wahllokal verlegt hat - die Schule, in der es früher war,  wird gerade für viel Geld um genau 70 Plätze mit einen weiteren gigantischen Protzbau erweitert - müssen wir ins sogenannte Gemeindezentrum.
Unserer Oma ist das natürlich zu weit und so habe ich sie überredet, Briefwahl zu beantragen. Die Deutsche Post will schließlich auch leben und "Fliegende Wahlurnen" gab es ja nur in der bösen, bösen DDR. Das hat unter anderem den Vorteil, dass Schwerbehinderte und ganz Alte sich den Weg ins Wahllokal sparen. Könnten ja die Falschen gewählt werden. Aber das nur nebenbei.

Oma füllt also die Wahlbenachrichtigungskarte aus und will sie in einen herkömmlichen Briefumschlag des Formats DL ( 110 mm × 220 mm) stecken, damit man ihr die Wahlunterlagen schicken kann. DL heißt DIN Lang und ist laut Wikipedia "die umgangssprachliche Bezeichnung für mehrere ähnliche Formate für Briefumschläge, die ursprünglich zur Verwendung für zweifach quer gefaltete Briefbogen DIN A4 gedacht sind, sowie für weitere zu diesen Umschlägen passende Einlageformate." Das Ganze ist in  "DIN 678-1 Briefhüllen – Teil 1: Formate" genormt. Aha. Hat ja auch Vorteile, muss man sich nicht die Briefbögen und Kuverts aufwändig selbst zuschneiden und die Briefsortierautomaten bei Post und Kurierdiensten funktionieren ohne Probleme.  Denkt man so.

Soweit zur Theorie und der frühkapitalistischen Sucht nach Vereinheitlichung z.B. auch des Post - oder Eisenbahnwesens oder der Normierung von Schrauben, Maschinenteilen oder ähnlichem aus Industrie und Gesellschaft. 

Darüber sind wir in Deutschland natürlich längst hinweg. Die Vorteile einer einheitlichen Post und Eisenbahn haben wir zugunsten des Profits ja auch schon lange eliminiert. Jetzt ist das Normenwesen dran! "Weg mit den DIN- und ISO-Normen! " heißt die mächtige Volksbewegung, die da aus den Amtsstuben zu uns dringt. 

Petra Bork  / pixelio.de
Und so stellt sich dann folgerichtig heraus, dass die Wahlbenachrichtigungskarten fast 112 mm breit und 221 mm lang sind. Millimeter zu lang und zu breit! Die Karten passen nicht in die normierten Briefumschläge und das nächstmögliche Briefformat ist vom Porto her natürlich um 85 Cent teurer. Oder sollen wir jetzt unsere Couverts wieder selber zuschneiden? Basteln für die Demokratie?  Beim ollen Goethe war das noch gang und gäbe. Da bastelten alle ihre Couverts selbst. In den verschiedensten Größen. Also, zurück auf Anfang, zurück ins späte Mittelalter, in die Frühzeit des Kapitalismus? Wollen wir es diesmal besser machen? Etwa ohne Magnaten und Manchester-Kapitalismus, ohne Unterdrückung und Elend, ohne fette und faule Beamtenär...,  ohne machtgierige und korrupte Politiker, ohne Ausbeutung der Natur und des Menschen, ohne Kinderarbeit, ohne Vernichtung unseres Planeten, ohne Kriege? Die Phantasie geht mit mir durch. 

Oma holt mich aus meinen Träumen. Sie hat die Schere genommen und die Karte eingekürzt, so dass die in den DL- Umschlag nach  "DIN 678-1 Briefhüllen – Teil 1: Formate" passt. Porto: 60 Cent. Jetzt wartet Oma auf den Strafbescheid, weil sie eigenmächtig Wahlunterlagen verändert hat.

Fazit. Nich' mal DET könn' se! Oder: Für einen Beamten und seinen Schreibtisch mögen ein Millimeter fast ein Lichtjahr sein. Wenn er allerdings mit seiner fehlenden Geisteskraft das unnütze Volk beschäftigen kann, sind ihm auch Millimeter nicht zu wenig...