Montag, 12. November 2012

Wo ist eigentlich Europa ? (Teil 4)

Hafeneinfahrt Odessa ( © fv 2012)
Odessa - Millionenstadt am Schwarzen Meer zwischen Dnepr-Mündung und der Krim gelegen. Gründung 1794 auf Befehl der Zarin Katharina der Großen. Katharinas Ziel war ein leistungsfähiger Militärhafen am Schwarzen Meer. Der neapolitanische Generalmajor Joseph de Ribas wurde Odessas erster Statthalter, er hatte im Russisch-Türkischen Krieg 1789 eine an fast gleicher Stelle gelegene türkische Festung eingenommen.

Der zweite Gouverneur der Stadt wurde 1803 der Herzog von Richelieu. Ihm verdankt die Stadt ihren großen Erfolg, ihre Anlagen und ihre Infrastruktur. Richelieu, der nichts mit den drei Musketieren zu tun hat, war vor der Französischen Revolution geflohen und diente in der russischen Armee gegen die Türken. Seit 1828 erinnert eine Bronzestatue an ihn, die heute am Anfang der berühmten Potjomkin- Treppe steht.
Der Autor auf der Treppe ( © mv 2012)

Standseilbahn neben der Potjomkin-Treppe (© fv 2012)
Die Potjomkin-Treppe selbst ist eine Freitreppe mit 192 Stufen, die von der Innenstadt zum Hafen führt. Sie wurde 1837 bis 1841 nach den Plänen des sardischen Architekten Francesco Boffo aus Triester Sandstein errichtet und durch Sergej Eisensteins Film "Panzerkreuzer Potjomkin" bekannt. Sie ist wahrscheinlich  die berühmteste Treppe der Welt sowie Wahrzeichen der Stadt.

Wem die Treppe zu hoch und zu steil ist, kann seit 1903 eine Standseilbahn benutzen, die den Höhenunterschied zwischen  Hafen inklusive Morski Woksal  und dem Stadtzentrum direkt neben der Potjomkinschen Treppe überwindet, ihre Benutzung kostet zur Zeit etwa 20 Eurocent ( 2 Griwna) pro Person.

Odessa als Hafenstadt war relativ frühzeitig zu einem Zentrum der von den Türken eroberten neuen russischen Provinz Neurussland geworden, obwohl  zunächst Krementschuk, später aber das neu gegründete Jekaterinoslaw das eigentliche Verwaltungszentrum waren. Neurussland (außer der Krim) kam  erst 1919 zur damals neu gegründeten Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik, die Krim wurde zunächst Autonome Republik innerhalb der Russischen Förderation und erst 1954 schenkte Nikita Chruschtschow - ohne sich um geltende Unions-Verträge zu kümmern - die Halbinsel der Ukrainischen SSR. Das erklärt auch, warum heute im Süden der Ukraine immer noch überwiegend Russisch gesprochen wird - eine Tatsache, die der "Spiegel" erst unlängst noch höchst verwunderungswürdig fand und wahrscheinlich Wladimir Putins  Bosheit in die Schuhe geschoben hat. Putins Einfluss ist wohl eher marginal:  Insgesamt geben 63 Prozent der Odessiten die russische Sprache als Sprache des Alltags an. 2012 wurde Russisch als regionale Amtssprache im Oblast (Gebiet) Odessa wieder eingeführt.

Odessa hat heute etwa eine Million Einwohner. Die Ukrainer bilden mit 57 Prozent die Mehrheit der Einwohner, außerdem gibt es  34 Prozent Russen sowie Juden, Rumänen (Moldauer), Griechen, etwa 3000 Deutsche, Franzosen, Araber, Türken, Armenier, Georgier und weitere Bevölkerungsgruppen. Hier leben und arbeiten mehr als 130 Nationalitäten friedlich zusammen.

Stadtsowjet / Rathaus mit Puschkin-Denkmal ( © fv 2012)
Allerdings ist das Leben auch im postsowjetischen Odessa alles andere als rosig  In der Stadt  kämpft man - wie überall in der Ukraine - mit hoher Arbeitslosigkeit, niedrigen Löhnen (etwa 10 Prozent des deutschen Niveaus bei mit Deutschland vergleichbaren Preisen ), niedrigen Steuereinnahmen und einer deshalb verrotteten Infrastruktur. Man hat eine allgegenwärtige Mafia, die dazu gehörige Korruption und die Herrschaft der Oligarchen. All das verhindert die Ansiedlung von kleinen und mittelständischen Firmen und macht Investitionen von ausländischen Gründern in der Ukraine zu reinen Selbstmordunternehmen.

Selbst die alles beherrschenden Oligarchen sind ihres Lebens nicht sicher: Erst im September wurde der gerade erst gewählte Chef des Rotary Clubs Odessa an einem Sonntag nach einem Restaurant-Besuch mit 12 Pistolenschüssen niedergestreckt. Er hatte zwei telefonische Aufforderungen erhalten, ein ganz bestimmtes Geschäft nicht ohne die Beteiligung der Mafia abzuwickeln und beide Befehle ignoriert. Frau und Tochter mussten der Hinrichtung auf offener Straße zusehen.

Allgegenwärtige Werbung
Das größte Problem der Stadt ist allerdings die hohe HIV-Infektionsrate. Inzwischen geht die WHO von einer Infektionsrate für die Ukraine von rund 20 Prozent aus. In Odessa als Hafenstadt mit vielen Prostituierten liegt die Rate wahrscheinlich wesentlich darüber.

Was die Stadt Odessa trotzdem lebens- und vor allem erlebenswert macht, erfährt der interessierte Leser demnächst in diesem Blog...      

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