Mittwoch, 17. Oktober 2012

Wo ist eigentlich Europa - Fortsetzung

Dieser Karnevalsorden namens "Friedensnobelpreis" an die EU-Kommission passt wie die Faust aufs Auge: Auch unsere Lokalpresse titelt in ihrer Printausgabe: "Friedensnobelpreis für Europa". Gehirnamputierte auf dem Vormarsch, nicht nur in norwegischen Preiskomitees.

Die berühmte Potjomkin-Treppe in Odessa (© fv 2012)
Aber wir wollten ja hier im Blog nach Europa. Warum in die Ukraine? Anfang des Jahres kam mir voller Freude zu Bewusstsein, dass ich - Vermeidung von Verkehrs- und sonstigen Unfällen vorausgesetzt - mit hoher Wahrscheinlichkeit in diesem Jahr 2012 meinen 60. Geburtstag erreichen würde. Was tun? Zum 40ten hatte ich alle Freunde in unsere kleine Wohnung nach Berlin eingeladen  Den 50ten feierten wir im fast gleichen Kreis im Europacenter mit einem Brunch.  Der 60te sollte etwas Besonderes werden - für mich und meine liebe M. Ich begann darüber nachzudenken, wo ich in den vergangenen 59 Jahren gern gewesen war, wo ich besonders liebe und gastfreundliche Menschen kennen gelernt hatte und kam auf Odessa, die Hafenstadt in der Ukraine.

Ein Wissenschaftsbereich der Humboldt-Uni hatte in den siebziger Jahren und bis zum Anschluss der DDR eine Partnerschaftsbeziehung zum dortigen Kältetechnischen Institut  Was sich hier eher  im Stillen vollzog, war gelebte Deutsch-Sowjetische Freundschaft.  Die DSF - wie es im Ideologensprech der DDR hieß - war ja sonst reines Lippenbekenntnis und erschöpfte sich oft im Zahlen der Beiträge für die gleichnamige Gesellschaft. Richtige Sowjetmenschen bekam man selten zu sehen und wenn, waren es meist höhere Offiziere der Besatzungsmacht. Einfache Soldaten ließ man lieber nicht auf das DDR-Volk los. Die DDR-Bürger konnten die Sowjetunion fast nur in Reisegruppen besuchen, Privatkontakte waren verpönt.

Als mein Vater Ende der sechziger Jahre plötzlich Post von seinem ehemaligen weißrussischen Arbeitskollegen Nikolai aus dem Gebiet Gomel bekam, setzte er sich in den Kopf , diesen Freund wieder zu sehen. Nikolai und er hatten nach der Befreiung in der hiesigen ehemaligen Waffen- und Munitionsfabrik Theodor Bergmann und Co. in Bernau-Waldfrieden, dem sogenannten Torpedowerk, das ab 1945 bis 1993 von der  sowjetischen Armee  als Reparaturstützpunkt für Kraftfahrzeuge genutzt wurde, zusammen gearbeitet. Mein Vater war gerade aus englischer Kriegsgefangenschaft entlassen, in die er im Alter von 17 Jahren geraten war. Nikolai kam mit auf unser Grundstück und in unser Behelfsheim, in dem mein Vater mit meinen Großeltern und meinen Urgroßeltern nach dreimaligen Verlust ihrer Berliner Wohnungen durch englische und amerikanische Bomben leben mussten. Es muss ganz lustig gewesen sein, mein Großvater war kein Kind von Traurigkeit und Nikolai brachte sicherlich etwas Wodka mit.

Nikolai (rechts) mit Freund im Oblast Gomel
Allerdings wurden die Frontsoldaten bald in die Heimat zurück geschickt und Nikolai landete in Kasachstan. Vielleicht weil er zu intensiven Kontakt mit dem ehemaligen Feind gehabt hatte? Jedenfalls meldete er sich erst nach über 20 Jahren wieder aus seiner Heimatregion Gomel. Ihm war endlich eine Rückkehr in seine Heimat gestattet worden. Er erinnerte sich immer noch gern an Schönow und lud Vater sofort zu sich ein. Um es kurz zu fassen: Es führte kein Weg herein - weder für Vater nach Gomel noch für Nikolai nach Schönow. Vater trat nach langen, nervenzerfetzenden  Auseinandersetzungen und politischen Unterstellungen durch die DDR-Bonzen aus der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft aus. Nikolai starb einige Zeit nach dem Tchernobyl-Unglück am Krebs. Das Gebiet Gomel hatte nach der Reaktor-Katastrophe zu den am stärksten kontaminierten Landstrichen gehört. Die beiden nun schon etwas älteren Herren haben sich nicht mehr wieder gesehen.

Wie wir Studenten die Sowjetunion unabhängig von den staatlichen Reisebüros und Restriktionen quasi privat erleben konnten, erfährt der geneigte Leser im nächsten Teil dieser kleinen Serie über einen Teil Europas...


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