Samstag, 30. Mai 2009

Die Berliner Polizei und die Stasi von heute



So sind wir deinen Wundern nachgegangen
wie Kinder· die vom Sonnenleuchten trunken·
ein Lächeln um den Mund· voll süßem Bangen

und ganz im Strudel goldnen Lichts versunken·
aus dämmergrauen Abendtoren liefen.
Fern ist im Rauch die große Stadt ertrunken·

kühl schauernd steigt die Nacht aus braunen Tiefen.
Nun legen zitternd sie die heißen Wangen
an feuchte Blätter· die von Dunkel triefen·

und ihre Hände tasten voll Verlangen

auf zu dem letzten Sommertagsgefunkel·

das hinter roten Wäldern hingegangen – –

ihr leises Weinen schwimmt und stirbt im Dunkel.

Ernst Stadler, 1904


Am vergangenen Wahlsamstag wollte die Aktionskünstlergruppe „Zentrum für Politische Schönheit“ (www.b-is-back.de), Horst Köhler mit dem Vortrag dieses Gedichtes ("An die Schönheit") des Expressionisten Ernst Stadler zur Wiederwahl gratulieren – doch mit Lyrik konnte die Berliner Polizei offenbar nichts anfangen und schritt ein.
Zunächst gestattete man , eine Aubade für Horst Köhler vorzutragen. Nachdem die Aktionskünstler mit dem Gedicht für Horst Köhler fertig waren, stürmten aufgebrachte Polizisten die Gruppe und erklärten die Aktion für beendet. Das Gedicht habe „meinungsäußernde Inhalte“ enthalten. Die Beamten meinten, es werde Strafanzeige gegen alle Beteiligten gestellt. Sogar ein Fotograf aus Wien, der das ganze dokumentiert hatte, wurde der Gruppe zugeschlagen. Die Gruppe freut sich nun auf den Staatsanwalt, wenn es darum geht, Ernst Stadlers Gedicht „An die Schönheit“ zu interpretieren. Lange ist es her, dass Verse im Gerichtssaal ausgelegt werden mussten.

Mir fallen dazu drei Dinge ein:
  1. Selber schuld, warum muss man auch diesem Typen in den A. kriechen und ihm ein Ständchen bringen? So schön ist er auch wieder nicht. Und dann noch etwas derartig "staatsfeindliches" !
  2. Grundgesetz, Artikel 5 Absatz 3: " Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. " Na ja, Papier ist geduldig.
  3. Typisch für die SED und die sogenannten staatlichen Organe der ehemaligen DDR war vor allem, dass fast alles suspekt war. Vor allem was man nicht verstand, war verdächtig und gehörte deshalb vorsorglich verboten. Ist es heute etwa anders ? Die Gesetzgebung läuft im Moment, wie am Beispiel Internetgesetzgebung zu sehen ist, ganz ganz genau so und kurzgefasst doch folgendermaßen ab: Hier bin ich, ich bin Minister, ich verstehe das Internet nicht, also gehört es verboten.

In der kurzen Zeit zwischen Maueröffnung und der Regierung de Maiziere atmeten wir DDR-Bürger auf. Eine nie gekannte Freiheit war zu spüren, die Polizei hielt sich merkbar zurück, Kunst, Kultur, Theater und Fernsehen erreichten ungeahnte Höhen. Leider war damit schon kurz nach den sogenannten ersten "freien" Wahlen am 18. März 1990 Schluß, die Westberater ritten ein und wesentliche Hoffnungen der Wende - z.B auf die Freiheit und die Selbstbestimmung des Volkes - zerstoben im nassen Westwind. "Frei" waren diese Wahlen ohnehin nur in einer Beziehung gewesen: Die westdeutschen Parteien waren so frei, mit massivem Einsatz aller erdenklichen Mittel die gutgläubigen Ossis zu korrumpieren. Und anschließend kamen wir vom Regen in die Jauche...

Quelle "Neue Rheinische Zeitung ", online-Version vom 30.Mai 2009
Bild: Bücher (manwalk, www.pixelio.de)


1 Kommentar:

  1. nein, Valli, frei war auch die Wahl vom 18. Juli nicht oder hast du jemals gelsen, daß so viele "Wahlhelfer" eines anderen Staates (der die BRD da ja noch war) aufgetreten sind? Die Freitheit ist ist in dem Moment verschwunden als aus "Wir sind das Volk" und "Wir sind ein Volk" geworden ist.

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